015 - Die Heiler
Bord.
Ihr Vater sprang auf. Mit aller Kraft warf er sich in die vom Wind geblähten Segel, wollte sie einholen, bevor Splitternd zerbrach der Mast. Es klang wie ein Schuss aus einer Pistole - obwohl Aruula nicht zu sagen vermochte, was das war: eine Pistole.
Stofffetzen und Holzsplitter regneten auf die Menschen herab.
Irgendwo stöhnte jemand.
Maddrax, dachte Aruula zusammenhanglos, doch dann holte der Traum sie wieder ein.
Der Lärm des Sturms übertönte die Schreie der Fischer, die verzweifelt in ihren Booten ums Überleben kämpften.
Aruulas Hände krallten sich in die Reste des Segels. Salzwasser stach in ihre Augen und vermischte sich mit den Tränen, die ihr über die Wangen liefen.
Neben Aruula kämpfte sich ihr Vater unter dem zerborstenen Mast frei. Sein Gesicht war voller Blut. Ein heftiger Schlag traf den Bug des Bootes, schleuderte ihn zurück auf die Planken.
Für einen Moment glaubte Aruula zu schweben.
Dann krachte das Boot wieder ins Wasser. Die Wellen schlugen darüber zusammen und raubten ihr den Atem. Sie würgte, als eiskaltes Salzwasser ihr in Mund und Nase drang, schlug in Panik um sich.
Plötzlich wurde sie von starken Armen hochgerissen. Aruula hustete und öffnete die Augen. Ihr Vater presste sie gegen seine Brust, versuchte sie zumindest ein wenig vor den Naturgewalten zu schützen.
»Hab keine Angst!«, schrie er gegen Sturm an. »Udik wird uns helfen.«
Ein Ruck ging durch das Boot.
Vater und Tochter rutschten über die nassen Planken, unfähig Halt zu finden.
Holz splitterte, als das Boot sich schräg legte. Die Steuerbordseite verschwand im tosenden Meer, die Backbordseite ragte aus den Wellen auf.
Aruula hörte den verzweifelten Schrei ihres Vaters und sah in seinen Gedanken, was geschehen war.
Das Boot, das sich rechts von ihnen befunden hatte, sank, aber das Netz, das zwischen beiden Booten gespannt war, verband sie auch weiter miteinander.
Das Boot, auf dem sich Aruula befand, wurde in die Tiefe gerissen!
Ihr Vater ließ sie plötzlich los. Sie schrie erschrocken, wollte nach seinem Arm greifen, aber er drückte sie einfach zur Seite. In seiner Hand blitzte ein Messer. Atemlos sah Aruula, wie er ins Wasser hechtete und in der brodelnden Gischt verschwand. Immer steiler ragte die Backbordseite aus dem Meer. Aruula klammerte sich an den Überresten des Masts fest, um nicht ins Wasser gespült zu werden. Holzsplitter bohrten sich in ihre Finger. Ihr Arm schmerzte. Entsetzt bemerkte sie, dass sie den Halt verlor. Stück um Stück lösten sich ihre Hände vom Mast. Und rutschten ab.
***
Matt warf sich zurück und katapultierte den Lupa mit einem Tritt über sich hinweg. Gleichzeitig riss er mit der linken Hand den Klettverschluss der Tasche auf. Seine Finger schlossen sich um den Griff der Pistole.
Die Wolfsmutation kam hinter Matt jaulend auf die Pfoten. Der Frekkeuscher zerrte panisch an seinen Zügeln.
Eine Sekunde zögerte der Lupa, konnte sich nicht zwischen den beiden Opfern entscheiden.
Matt wollte seine Unentschlossenheit nutzen und die Beretta aus der Tasche ziehen, aber der Lauf der Waffe schien sich im Futter der Jacke verhakt zu haben. Fluchend versuchte er sie aus dem widerstandsfähigen Stoff zu befreien.
Der Lupa wandte sich ihm wieder zu. Er öffnete sein Maul und zeigte die doppelten Zahnreihen, die das Tier zu einem so gefürchteten Gegner machten. Dann stieß er sich ab.
Matts Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.
Ein Knall. Explosionsartig verteilten sich grüne Stoffetzen in der Luft. Der Kopf des Lupas verschwand in einer Blutfontäne.
Dumpf schlug der Kadaver auf den Boden. Die Beine zuckten noch einmal im Reflex, dann lag das Tier still.
Matt sprang auf. Der Lupa war nicht allein gewesen, aber während des kurzen Kampfes hatte er die anderen Angreifer aus den Augen verloren. Wo waren sie?
Der schrille Schrei des Frekkeuschers gab ihm Antwort. Die Wölfe hatten die Auseinandersetzung genutzt, um sich an ihr anderes Opfer anzuschleichen. Zwei von ihnen hatten sich in das hinterste Beinpaar des Insekts verbissen, während ein anderer mit den Krallen das Fell zerfetzte, unter dem Aruula lag.
Endlich bekam Matt die Waffe frei. Er legte an.
Und senkte die Beretta wieder, denn die wilden Bocksprünge des Frekkeuschers ließen kein Zielen zu… vor allem nicht mit der linken Hand.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er zwei weitere Lupas, die sich im Hintergrund hielten. Anscheinend hatte er ein ganzes Rudel der Bestien aufgescheucht.
Matt
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