0157 - Die Hexe und der Höllensohn

überflog sein Gesicht. Er kannte den blonden Ami doch nur zu gut.
    Lautlos pirschte er sich an ihn heran und flüsterte laut: »Du brauchst die Dame nicht mehr zu verwirren, Opa. Wir sind längst hier!«
    Auf dem Absatz fuhr der Mann, der etwa in Zamorras Alter war und auch annähernd dessen durchtrainierte Figur besaß, herum. Mit offenem Mund starrte er Zamorra an.
    Der Professor schmunzelte. »Wir sind hier nicht im Schlaraffenland, also schwirren hier auch keine gebratenen Tauben herum. Du kannst den Mund wieder schließen. Oder möchtest du mit einer Fliege vorlieb nehmen? Warte, ich fang dir eine…«
    »Du verrückter Professor!« schrie Bill Fleming, Historiker und Harvard-Dozent. »Wo kommst du her, so spät in der Nacht? Wir warten schon seit Stunden auf euch. Wo habt ihr die ganze Zeit gesteckt? Wann seit ihr gekommen? Habt ihr schon Zimmer? Wie wäre es, wenn wir erst einmal…«
    »Richtig«, sagte Nicole. »Das ist es, was wir eigentlich anstreben. Ein opulentes Mahl mit garantiert dickmachendem Nachtisch. Los, wo ist der Tisch, den du reserviert hast?«
    Bill Fleming hustete, verschluckte sich und streckte dann beide Arme aus, um Nicole an sich zu ziehen.
    »Nicole, Schatz«, schrie er begeistert. »Dich habe ich ja hinter Zamorras Elefantenrücken gar nicht gesehen! Lange nicht gesehen, wie geht’s?« Und ehe Nicole um Hilfe japsen konnte, beehrte er sie mit einem schmatzenden Begrüßungskuß.
    »He!« schrie da jemand. »Ich bin wohl abgemeldet, sobald du andere Röcke siehst! Selten genug bist du in Europa, und wenn du hier bist, rennst du hinter anderen her!«
    Zamorra sah das Mädchen an, das diese Worte hervorgestoßen hatte. Er erkannte sie wieder. Manuela Ford, abwechselnd Kunststudentin und Weltreisende. Bill Fleming hatte sie kennengelernt in jener Zeit, in der Zamorra und Nicole ihren unfreiwilligen Vergangenheitstrip ins alte Jerusalem absolvierten und gegen Dämonen und Meeghs zu kämpfen hatten. Damals war ein Funke übergesprungen, und seitdem zogen sie sich gegenseitig nahezu magnetisch an. Zamorra ahnte, daß es durchaus kein Zufall war, Bill und Manu hier zu treffen.
    Der blonde Historiker löste sich von Nicole und sah das Mädchen mit dem goldbraunen Haar zerknirscht an.
    »Es war rein studienhalber«, sagte er. »Wir haben uns so lange nicht gesehen, daß ich… äh… daß meine historische Forscherader…«
    »Aha!« sagte Nicole und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ich bin also ein Fossil! Oder was wolltest du damit sagen?«
    »Aber nein«, stammelte Bill verwirrt. »Ich…«
    »Also doch!« stellte Manuela fest. »Du willst sie verführen, gib es ruhig zu.«
    »Sie ist eine alte Jugendfreundin«, wehrte sich der Amerikaner. »Du kannst doch nicht verlangen, daß ich…«
    »Ich höre immer ›alt‹«, grollte Nicole. Im nächsten Moment sahen sich die beiden Frauen an, lachten und griffen von rechts und links nach Bill, um ihn mit sich in den Restaurantraum zu ziehen. Sprachlos starrte Zamorra ihnen nach.
    »Und ich?« fragte er.
    Nicole wandte den Kopf.
    »Bei Fuß!« rief sie.
    Kopfschüttelnd folgte Zamorra ihnen. An den zurückliegenden Unfall dachte er nicht mehr. Auch nicht an Ashorro.
    Doch der Dämon schlug in diesem Moment wieder zu.
    ***
    Der dunkle Magier glitt durch die nächtlichen Straßen. Kaum jemand nahm das schattenhafte Wesen wahr, und wenn, dann wurde es für eine Sinnestäuschung gehalten.
    Ashorro war auf der Suche nach einem geeigneten Körper. Er mußte stark sein, aber nicht stark genug, sich gegen seinen neuen Beherrscher zu wehren. Der dunkle Magier verschwand in einem Toreingang und begann zu suchen. Ein Teil seines Geistes löste sich von ihm und tastete unter den Bewohnern der Industriestadt im Herzen Westfalens nach einem geeigneten Wirtskörper.
    Er flog förmlich über sie hinweg wie der Blick eines Menschen über die Rubriken in einer Zeitung, erkannte, sonderte aus.
    Plötzlich hatte er gefunden, was er suchte.
    Der Schatten löste sich aus dem Toreingang, glitt in belebtere Gegenden. Hell erleuchtete Straßen, hier und da Menschen. Niemand achtete auf Ashorro.
    Das wird sich ändern , dachte der dunkle Magier innerlich kichernd. Sie werden sich vor mir ducken, vor mir zittern. Aber noch ist es gut so. Jede Aufmerksamkeit kann mir schaden.
    Dann hatte Ashorro sein Ziel erreicht. Der Teil seines Geistes, der ihn geleitet hatte, vereinigte sich wieder mit dem Rest des Schattenwesens. Der dunkle Magier war bereit.
    Menschen verließen