0157 - Die Hexe und der Höllensohn
ein großes Haus. Sie hatten Feierabend, jetzt, kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Sie traten ins Freie.
Für ein paar Augenblicke hatte jemand zwei Schatten. Dann verschmolz der zweite Schatten mit dem Körper. Alles war wieder normal.
Völlig normal.
Nur eines hatte sich verändert. Ein Mensch war zu einem Sklaven geworden, zur hilflosen Marionette im Griff eines Unheimlichen. Er war nicht mehr er selbst, sondern der Andere. Der überfall war so blitzschnell gekommen, daß das Opfer keine Chance hatte.
Ashorro, der dunkle Magier, hatte einen Körper übernommen. Er besaß jetzt eine feste Basis.
***
Es war, als schlage der Blitz ein.
Das Mädchen mit dem schulterlangen, rötlich-braunen Haar fuhr auf. Der Schock der magischen Entladung durchfuhr sie wie ein Stromstoß. Sie zitterte.
Ihre Sinne begannen das Geschehen zu analysieren. Daß einige Leute sie erstaunt ansahen, ignorierte sie großzügig. Starr stand sie da. In diesem Moment gab es die Welt um sie herum nicht mehr, sondern nur noch diese Energieentladung, die in ihr förmlich nachhallte.
Jäh begriff sie, was geschehen war.
Ashorro hatte zugeschlagen. Der dunkle Magier war da, und er hatte einen Menschen unter seine Kontrolle gebracht. Er war jetzt nicht mehr schattenhaft und gefährlich, sondern körperlich vorhanden und noch gefährlicher.
Es mußte sich in unmittelbarer Nähe abgespielt haben.
Ihr Körper straffte sich, sie setzte sich in Bewegung. Bezahlt hatte sie sofort, niemand hielt sie auf, als sie in die Nacht hinaus stürmte. Dorthin, wo sich das grauenhafte Geschehen abgespielt hatte.
Doch sie kam zu spät.
Es war niemand mehr da.
Sie ballte die Fäuste. Nicht einmal Restschwingungen waren mehr wahrzunehmen.
Sie konnte nicht erkennen, wer übernommen worden war. Und Ashorro selbst war jetzt nicht mehr zu erkennen. Er tarnte sich hinter der Ausstrahlung seines Opfers.
Irgendein Mensch war jetzt Ashorro geworden. Der dunkle Magier war endgültig frei.
Babsy wußte, was das bedeutete. Noch besser als zuvor konnte er sie nun wahrnehmen.
Und sie wußte auch, was daraufhin geschehen würde.
Eine Hexenjagd würde beginnen.
Denn Ashorro duldete keine Konkurrenz neben sich. Und erst recht nicht, wenn diese »Konkurrenz« weiße Magie anwandte, also im gegnerischen Lager stand.
HEXENJAGD! gellte es in ihr.
Sie mußte etwas tun, mußte Ashorro zuvorkommen. Aber wie…?
Reichten ihre Fähigkeiten, reichte ihr Können überhaupt aus, um gegen den dunklen Magier zu bestehen?
Sie wußte es nicht.
Aber sic wußte, daß sie handeln mußte, ehe es für sie - und für die ganze Stadt! - zu spät war…
***
Nicole und Manuela ließen Bill Fleming los, der sich langsam von seiner Überraschung erholte.
»So, mein Bester, wo ist der reservierte Tisch?«
»Was redet ihr immer von einem reservierten Tisch?« fragte der Historiker. »Ich…«
»Du willst uns also hungern lassen«, warf Nicole ihm vor. Sie sah Zamorra, der zu ihnen aufgeschlossen hatte, und warf sich an seine Brust. »Ein schöner Freund ist das«, lamentierte sie. »Will uns einfach verhungern lassen!«
Fassungslos schüttelte der Professor den Kopf. »Ihr seid ja verrückt«, sagte er. »Alle miteinander!«
Die beiden Mädchen lachten erneut. Sie verstanden sich ziemlich gut. Zamorra legte Bill die Hand auf die Schulter. »Nimm's leicht, Alter«, brummte er. »Wie sieht es nun hier aus?«
»Ich konnte ja nicht ahnen, wann ihr kommt. Den ganzen Abend habe ich… haben wir gewartet. Und…«
»Wir wurden aufgehalten«, brummte Zamorra. Sein suchender Blick ging in die Runde. »Laßt uns forschen, wo es noch einen freien Tisch gibt. Immerhin hat die Anmeldung funktioniert. Nett von dir.«
Bill Fleming hatte für Nicole und Zamorra Zimmer reservieren lassen, nachdem die beiden zugestimmt hatten, zu kommen. »Beim Essen kannst du uns dann näher erläutern, weshalb du uns unbedingt in deiner Nähe haben willst.«
»Das läßt sich gar nicht so einfach erklären«, erwiderte der Historiker. Er fühlte sich wieder durch den Raum gezogen. Nicole mit ihrem Scharfblick hatte einen Tisch erspäht, an dem noch niemand saß. Beim Näherkommen entdeckte Zamorra das Pappschild. »Reserviert«, murmelte er.
»Für uns«, griente Nicole und drehte das Schild um. »Man wird es nicht wagen, uns aufzufordern, den Tisch zu verlassen. Immerhin haben wir die teuersten Zimmer in Beschlag genommen.«
Sie ließen sich an dem Tisch nieder. Augenblicke darauf wieselte ein Befrackter heran und
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