0166 - Das Werwolf-Mädchen
Zamorra, den der Zufall nach Ploumanac’h geführt hatte. Die Sonne schien, es waren Semesterferien und der Professor brauchte deshalb nicht jeden zweiten Tag an der Hochschule in Paris zu erscheinen. Andere Sachen lagen auch nicht vor, also hatte er Nicoles Vorschlag, sich ein paar schöne Urlaubstage zu gönnen, dankbar aufgegriffen. Lieber Himmel, wie lange war es her, daß sie sich ungestört ein paar freie Tage ohne Sti eß hatten gönnen können? Irgend etwas war immer dazwischengekommen.
Die Bretagne hatte sich angeboten. »Wir sind lange nicht mehr in der Bretagne gewesen«, hatte Zamorra gesagt. »Laß uns einfach mal wieder dorthinfahren, einfach so drauflos ohne festes Ziel.«
Nicole Duval, seine Sekretärin und Lebensgefährtin in Personalunion, hatte begeistert zugestimmt, weil das Land und die Leute sie faszinierten. Also hatten sie sich in den silbermetallicfarbenen Opel Senator geschwungen, eines der exklusiven Fahrzeuge aus Zamorras mittlerweile immer größer werdenden und zu jeder Gelegenheit passenden Fahrzeugpark, und waren losgedüst.
Inspektor Yardin war Bretone, Zamorra Franzose. Das hinderte sie nicht daran, Freunde zu sein, und so widmete Yardin an diesem Mittag einen Teil seiner Dienstzeit der Unterhaltung mit Zamorra und Nicole, die ihn in der Polizeiwache förmlich überrascht hatten. Die Wiedersehensfreude war enorm gewesen.
»Kannst du uns nicht ein paar Tips geben?« erkundigte sich Zamorra. »Wo gibt es hier die schönsten landschaftlichen Sehenswürdigkeiten und die schönsten Strände?« Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf Nicole, die es tatsächlich schaffte, für ein paar Sekunden zu erröten. »Eine solche Frau wie Nicole ist ja schließlich dazu da, im Rikini herumzulaufen!«
Yardin schmunzelte. »Es gibt in der Nähe einen alten Schmugglerpfad«, sagte er, »der direkt zum Strand führt. Heute wird da nicht mehr geschmuggelt - hoffen wir -, aber der Pfad existiert immer noch. Er ist so schmal, daß man eng zusammenrücken muß«, er lächelte Nicole zu, »und ziemlich versteckt. Eine romantische Gegend. Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich da mal entlangmarschieren. Der Pfad führt direkt an die Küste, an den Strand, und man ist dort um diese Zeit sehr ungestört.«
Zamorra schnipste mit den Fingern. »Das ist genau das, was wir suchen«, sagte er.
Irgend jemand klopfte in diesem Augenblick an die Tür. »Herein«, sagte Yardin halblaut. Zamorras Hoffnung, es könnte die Sekretärin des Inspektors mit einer Kanne Kaffee und einigen Tassen sein, erwies sich als Luftblase. Eine unauffällige Gestalt in gelbem Hemd und grauer Hose, die Krawatte tiefgezogen, trat ein.
»Mein Assistent«, sagte Yardin trocken. »Alain Durchaise.« Dann stellte er Nicole und Zamorra vor.
Alain Durchaise zog bei Nicoles Anblick sofort seinen Schlips hoch und brachte den Knoten in korrekten Zustand, um ihr dann ein Kußhändchen zuzuwerfen. Zamorra nickte er nur lächelnd zu. »Pierre«, wandte er sich dann an den Inspektor, »hat die olle Tante nicht den Namen Harry Winter erwähnt? Ich meine Madame Assaire, die ich an dich weitergeleitet hatte. Ich hatte sie erst bei mir in der Leitung.«
»Ich entsinne mich«, sagte Yardin mit theatralisch ausgestrecktem Arm. »Du mißbrauchtest die segensreiche Einrichtung des Fernsprechers dazu, uns zu stören und mich mit den nichtigen Problemen jener Dame zu belästigen. Die heutigen Kartoffelpreise wären nicht weniger interessant gewesen als ihr Geschwätz um ihren Untermieter. Der torkelt bestimmt gerade aus einer Kneipe…«
»Harry Winter«, sagte Durchaise sanft.
»Ja, natürlich, so hieß er«, sagte Yardin und schenkte seinem Assistenten einen strengen Blick. »Was ist mit ihm? Ist er vor zwei Stunden zum Kaiser von Maghrebinien gekrönt oder zum Lord von Lippia ernannt worden?«
Durchaise schüttelte den Kopf. »Blödsinn, Pierre«, verkündete er. »Weißt du nicht, was in deinem Rundschreiben steht?«
Yardin zuckte mit den Schultern. »Wofür habe ich dich eigentlich? Du wirst mir bestimmt erzählen, was darin steht. Dafür wirst du ja immerhin bezahlt.«
»Harry Winter«, sagte Durchaise. »Amerikanischer und sowjetischer Staatsbürger. Geologe und Soziologe…«
»Was hat er denn noch für Doubletten?« fragte Yardin. »Ami und Iwan… wie finde ich denn das? Das paßt ja zusammen wie die Faust aufs Auge!«
»Auf jeden Fall«, fuhr Durchaise fort, »ist er außer Zivilist auch noch Geheimnisträger zweiten Grades des
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