0166 - Das Werwolf-Mädchen
müssen, verflog sofort und machte einer anderen Sorge Platz.
Das Zimmer war leer, und das Bett war unberührt.
Madame Assaire war der Typ, der andere zu gern bemutterte und diesen russischen Amerikaner oder amerikanischen Russen hatte sie irgendwie in ihr Herz geschlossen. Er strahlte Freiheit und Abenteuer aus, etwas, das ihr Herz begeisterte. Zu gern hätte sie selbst Abenteuer erlebt, obgleich sie wußte, daß ihr verfettetes Herz dem niemals standhalten würde. Aber so lauschte sie abends gebannt den Erzählungen des Mannes, wenn er sich die Zeit nahm, sich gemütlich zu ihr an das Kaminfeuer zu setzen und von den weiten Steppen Sibiriens zu erzählen. Von Bären, Wölfen, Kosaken und Zauberern, von herben Sommern und bitteren Wintern. Aber für ihre Begriffe erzählte er viel zu selten. Die zwei Wochen waren wie im Flug vergangen, und daß er noch einmal zwei Wochen bleiben wollte, war nur ein geringer Trost. Meist ging er abends hinaus, um einen Spaziergang zu unternehmen, der sich oft drei bis vier Stunden hinzog. Irgendwann nachts hörte sie ihn dann heimkommen, und frühmorgens war er dennoch frisch und ausgeschlafen wieder beim Frühstück.
Mit jähem Schrecken entsann sie sich, daß sie ihn in dieser Nacht nicht gehört hatte, obgleich er gegangen war. Sollte ihm auf seinem Nachtspaziergang etwas zugetoßen sein?
Eine kalte Hand faßte nach ihrem Herzen. Sie begann um ihn zu bangen wie um einen Sohn.
Und wenn… wo sollte man ihn suchen? Stunden war er oft unterwegs, seine Wege mußten ihn kilometerweit hinaus führen. Madame Assaires kleines Haus lag am Rand von Ploumanac’h, und dahinter erstreckte sich eine unheimliche Menge freies Land. Überall konnte er sein.
Fest stand, daß er in dieser Nacht nicht in seinem Zimmer gewesen war. Überraschend und ohne Abschied abgereist konnte er auch nicht sein, denn die Koffer standen noch da, und seine Habseligkeiten befanden sich noch im Schrank.
Also mußte er noch irgendwo dort draußen sein…
Madame Assaire straffte sich. Sie ruckte herum, verließ das Zimmer, ohne noch etwas zu berühren, und hängte sich ans Telefon.
»Ja, bitte, sofort die Polizei… dringend…«, ihre Stimme überschlug sich fast. »Ich… ich habe eine Vermißtenmeldung abzugeben.«
***
Der durchtrainierte, schlanke und hochgewachsene Mann tippte sich respektlos an die Stirn. »Wenn du mich fragst, Moniseur le Inspecteur: Die Dame spinnt im Großformat. Vielleicht hat sich der Knabe einen gemütlichen Abend gemacht und ist irgendwo versumpft. Auch ein kleines Örtchen wie Ploumanac’h wird doch wohl sein Nachtleben haben…«
»Hä-ähem!« sagte energisch neben ihm eine junge Frau von bezauberndem Aussehen. Der Mann, der wie ein Sportler aussah, wandte leicht den Kopf und sah sie aus grauen Augen lächelnd an. »Pardon, Nici, ich wußte nicht, daß bei dir neuerdings allein das Wort« Nachtleben »eine Allergie auslöst…«
Er unterbrach sich, vollzog einige seltsame Verrenkungen seiner Nasenflügel und schaffte es gerade noch, ein Taschentuch hervorzuziehen und in Auffangposition zu bringen, als bereits die Explosion kam. »Gesundheit«, wünschte das Mädchen mit dem blauschwarzen, schulterlangen Haar halbwegs schadenfroh.
»Teufelswerk«, murmelte der Grauäugige. »Alles Teufelswerk.«
»Was ist Teufelswerk?« fragte das Mädchen.
Er schüttelte sich. »Alles. Ganz besonders aber dieser verdammte Schnupfen! Wenn ich bloß wüßte, wo ich mir den gefangen habe…«
»Das kommt davon«, sagte sie schadenfroh, »wenn man sich nachts nicht richtig zudeckt…«
»…weil ein gewisses Stück Frau namens Nicole Duval es nicht schafft, ruhig zu liegen und einem immerfort die Decke wegstrampelt«, konterte er ungerührt.
»Kavalier der feinen Schule bist du auch nicht«, maulte Nicole prompt. »Verrat’ doch nicht immer alles…«
Professor Zamorra, Parapsychologe von Beruf und Dämonenjäger aus Berufung, grinste trotz seiner Erkältung. Dann wandte er sich wieder dem Inspektor zu. »Vergiß die Sache mit diesem Winter. Der taucht in ein paar Stunden mit einem mordsmäßigen Kater wieder in der Weltgeschichte auf, und alles ist in bester Butter… diese Madame Assaire, was ist das eigentlich für eine Frau? Kennst du sie?«
Inspektor Yardin hob die Schultern. »Wer kennt sie nicht? Die Welt ist ein Dorf und Madame Assaire weltbekannt. Wenn ich mir die Sache so durch den Kopf gehen lasse… du hast wahrscheinlich Recht, Zamorra.«
»Ich habe immer recht«, sagte
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