0194 - Wenn Hexenhände töten
Ich setzte mehr Kraft ein, und das Ding schwang in die Höhe. An der gegenüberliegenden Seite fiel der Deckel wieder nach unten und schlug mit seiner Wölbung gegen die Außenwand der Truhe.
Etwas befand sich in ihrem Innern. Leider konnte ich es in der Dunkelheit nicht erkennen. Als ich mit der Bleistiftlampe hineinleuchtete, sah ich den Stoff.
Es waren alte Lappen, schon grau und unansehnlich. Irgend etwas hatte man darin eingewickelt. Staub quoll hoch und kitzelte meine Nase.
Ich war ziemlich gespannt auf das, was die Tücher verdeckten. Mein Herz klopfte schneller. Irgendwie spürte ich, daß etwas in der Luft lag.
Man bekommt im Laufe der Jahre ein Gefühl für solche Dinge.
Mit beiden Händen faßte ich in die Truhe, nahm den ersten Lappen, hob ihn an, spürte das Gewicht, legte die Last wieder zurück und faltete das schmutzige Tuch auseinander.
Mit allem hätte ich gerechnet. Nur nicht mit dem, was vor mir lag.
Es waren zwei Hände!
***
Man hatte sie abgehackt!
Auch im daumenbreiten Strahl der Lampe konnte ich dies deutlich erkennen. Wo früher Hände und Gelenke aneinandergesessen hatten, befand sich eine dunkelrote Kruste.
Zwei Hände.
Und nicht verwest!
Vorsichtig wickelte ich das Tuch um den grausamen Fund und suchte weiter in der Truhe.
Ich will es kurz machen. Mir fielen abermals drei Paar Hände in die Finger, wenn ich das so sagen darf. Zwar hatte ich mich durch den ersten Fund an den Anblick schon gewöhnt, aber es war doch mehr als makaber, als ich die Hände vor mir liegen sah.
Vier Paar!
Es war nicht einfach für mich, hier hocken zubleiben und die Hände zu untersuchen. Es mußte sein, denn ich wollte Informationen bekommen.
Drei Paar gehörten Männern. Dies war auch jetzt noch zu sehen. Die Haut zeigte Schwielen und Stellen, die aufgerissen waren. Man sah es den Händen an, daß sie es einmal gewohnt waren zu arbeiten.
Das vierte Paar jedoch gehörte einer Frau.
Welcher Frau?
Im Licht der kleinen Lampe sah ich sie mir an. Die Hände waren sehr feingliedrig, es hätten auch Künstlerfinger sein können, so wie gewachsen waren. Nur waren die Fingernägel seltsam lang.
Mir kam es vor, als wären sie nach der Abtrennung noch ein Stück gewachsen. Ich kannte so etwas. Nicht umsonst behauptete man, daß bei Toten die Nägel noch im Sarg weiterwachsen.
Eine wirklich gruselige Vorstellung.
Mit den Händen konnte ich vorläufig nichts anfangen. Deshalb faltete ich die Tücher wieder zusammen und verbarg dort meinen makabren Fund. Irgendwann würde ich das Rätsel schon lösen, da war ich mir sicher. Ferner kam ich nicht darum herum, auch die Adeligen in die Verhöre mit einzuziehen. Dieser Fund war zu arg, um ihn zu übergehen.
Ich richtete mich auf und drückte mein Kreuz durch. Der verdammte Fall über die Treppe hatte mich doch ziemlich mitgenommen. Blaue Flecken würde ich zumindest zurückbehalten. Glücklicherweise hatte sich die Kugelwunde gut gebessert. Die Narbe auf meinem linken Bein war ausgezeichnet verheilt.
Mit dem Küster hatte ich Kontakt gehabt. Jetzt war der Mann tot, er konnte mir nicht mehr weiterhelfen. Also mußte ich einen anderen Menschen finden, der mir Auskünfte geben konnte. Den Verwalter des Schlosses oder seinen Vertreter.
Wobei das Wort Schloß wirklich untertrieben ist. Die Windsors nannten ein Gelände ihr eigen, das fast so groß war wie eine Stadt. Es grenzte an die Themse und war etwa 21 Meilen von London entfernt. Es gab mehrere Kirchen, zahlreiche Türme, dann Rundbauten, Befestigungsanlagen, prunkvolle Herrensitze, Wald, Parkanlagen und auch Straßen, die den Besitz teilten.
Ein ungeheures Erbe, fürwahr.
Mit seiner Südseite grenzte der gewaltige Komplex ziemlich nahe an die Themse. Zwar befanden sich zwischen dem Ufer und der Schloßmauer noch einige andere Bauten sowie ein Grüngürtel, aber die Nähe des Schlosses hatte ungemein auf die Touristenströme abgefärbt.
Viele Menschen wollten es auch vom Wasser sehen und langsam an dem Areal vorbeischippern. Deshalb hatte eine Schifffahrtsgesellschaft einen Landungssteg gebaut. Da der Betrieb florierte, waren im Laufe der Jahre noch weitere Anlegestege errichtet worden. So kam es, daß wirklich an sonnigen Tagen Betrieb herrschte, als gäbe es etwas umsonst. Die Windsors störten sich nicht daran. Sie saßen hinter ihren dicken Schloßmauern und genossen es, reich geboren zu sein.
Die kleine Kapelle befand sich nahe der Schloßmauer. Man hatte sie irgendwie vergessen, sie wurde kaum
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