02 - Die ungleichen Schwestern
eins«, brummte sein Kamerad.
Der
Beau winkte der Menge zu. Sein Haar glänzte golden wie eine Guinee. Er hatte
ein schönes Profil mit einem hohen Nasenrücken. Die Menge wurde so still, dass
man eine Stecknadel hätte fallen hören können, als Gentleman Jackson seine
Hände hochhielt. Seine kräftige Stimme trug weit über die Hügel in der
plötzlich eingetretenen Stille. Nicht einmal die Luft bewegte sich. »Meine
Herren!« rief Jackson. »Sir Bartholomew Ansteys Kandidat ist Jack Death mit
einem Gewicht von achtundachtzig Kilogramm, und Lord Tregarthans Kandidat ist
... Lord Tregarthan mit einem Gewicht von zweiundsiebzig Kilogramm. Niemand
darf den Ring betreten, außer dem Schiedsrichter und Zeitnehmer. Fertig?«
»Zu
leicht«, klagte die Stimme unten. »Ich werde nicht auf Tregarthan setzen. Zu
leicht. Und wenn er zehnmal ein großer Sportsmann und Draufgänger ist, so wird
Jack Death ihn doch umbringen.«
»Nein!
Das darf er nicht!« verriet sich Jane vor Schreck. Sie verlor das Gleichgewicht
und fiel aus dem Baum vor die Füße der beiden Männer unter ihr.
Der Hut
fiel ihr vom Kopf.
Es
stellte sich heraus, dass einer- der beiden Männer Mr. Wright war, der
Dorfschmied.
»Miss Jane!«
rief er. »Aber ganz schnell nach Hause mit Ihnen.«
»Sagen
Sie es nicht meiner Mutter«, keuchte Jane. »O bitte, Mr. Wright!«
»Keine
Angst«, antwortete der Schmied, der keinerlei Sympathien für die knauserige
Mrs. Hart hegte. »Aber merk dir eins, wenn du nicht ganz schnell von hier
verschwindest, sag, ich es ihr.«
Auf
einmal ganz entsetzt von dem Gedanken, was ihr passieren würde, wenn sie jemand
sehen und es ihrer Mutter erzählen würde, zog sich Jane den Hut bis zu den
Augen herab und rannte den ganzen Weg nach Hause. Obwohl es ihr gelang,
ungesehen ins Haus zu kommen, wies sie die Gouvernante streng zurecht, weil sie
ihre Lektionen im Schulzimmer versäumt hatte. Jane entging jedoch diesmal
dadurch den Birkenhieben, die sie gewöhnlich für schlechtes Betragen bezog, dass
sie überreizt in Tränen ausbrach.
Beunruhigt
und fest überzeugt, dass Jane irgendeine gefährliche Infektion aufgeschnappt
hatte, eilte die Gouvernante zu Mrs. Hart, um es ihr zu berichten - denn
sie hatte Jane noch nie weinen sehen. Jane wurde auf der Stelle zu Bett
gebracht. Der eilends herbeigerufene Arzt diagnostizierte ein Gehirnfieber, das
durch übermäßig viele Unterrichtsstunden verursacht worden sei - er hatte
einst Annäherungsversuche bei der Gouvernante unternommen, und diese hatte ihn
schnöde abgewiesen. Er verschrieb Jane sechs Wochen Ruhe ohne Schulbücher.
Normalerweise
hätte Jane das sehr gefreut, aber an diesem Tag wälzte und drehte sie sich
unruhig im Bett herum und stellte sich vor, wie der schöne Lord Tregarthan zu
einer breiigen Masse geschlagen wurde. Als das Hausmädchen mit der heißen
Abendmilch hereinkam, konnte Jane die Spannung nicht länger ertragen. Sich
mühsam in den Kissen aufrichtend, fragte sie so beiläufig wie möglich: »Wie ist
denn der Boxkampf ausgegangen?«
»Das
ist kein Gesprächsthema für junge Damen«, sagte das Mädchen abweisend, stellte
das Milchglas auf den Nachttisch und ging auf die Tür zu.
»Oh,
Martha«, bat Jane.
Da fing
Martha an zu grinsen und setzte sich auf Janes Bettrand. »Nun, Miss Jane, Sie
werden es nicht glauben! Es heißt, Lord Tregarthan sei selbst gegen Jack Death
angetreten und habe ihn in der fünfzehnten Runde zu Boden gestreckt. Jack Death
blutete so furchtbar im Gesicht, dass er nichts mehr sehen konnte, und Mylord
hatte nicht die winzigste Wunde. Der Kandidat von Mylord soll sich am Abend
vorher mit Fieber ins Bett gelegt haben, und deshalb hat Mylord beschlossen,
selbst zu boxen. Die Leute haben ihm ja so zugejubelt!«
Jane
brach in Tränen der Erleichterung aus.
»Still«,
zischte Martha und blickte ängstlich zur Tür. »Sie bringen mich in
Schwierigkeiten. Sie hätten mich nie fragen dürfen.«
Sie
wartete voller Angst, bis Jane schluckte und lächelte und sagte: »Es geht mir
jetzt wieder sehr gut, Martha.«
In
dieser Nacht beschloss Jane, Beau Tregarthan zu heiraten. Als sie älter und
immer unscheinbarer wurde, wußte sie, dass sie nicht hoffen konnte, je die
Aufmerksamkeit eines solchen Traums von Mann auf sich zu ziehen. Aber wenn sie
immerzu hoffte und immerzu wartete und sehr innig betete, vielleicht würde ihr
das Schicksal dann einmal einen Blick auf ihn erlauben - nur noch ein
einziges Mal.
Drittes
Kapitel
Mit Jonas
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