02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
wahrscheinlich schon lange angewidert aus der Hand gelegt haben, bevor sie bis hierher gekommen wären. Es sei denn, sie lesen mein Buch ebenfalls, um es zu rezensieren. In dem Fall ergibt sich für mich Grund, zu schaudern. Oder eher für meine Mutter, denn ich lese keine Rezensionen.
Ich hätte hoffen können, dass der namenlose Autor des namenlosen Buchs, das ich mir so gnadenlos vornahm, ebenfalls keine Rezensionen las und deswegen auch meine nicht zu Gesicht bekam, aber zufällig weiß ich, dass es anders war. Oh, ich war gescheit und witzig, vernichtend und – gewiss für jeden Leser – unwiderlegbar überzeugend und unbestreitbar korrekt. Um den armen Autor verächtlich zu machen, führte ich Zitate an, die aus seinem/ihrem eigenen Mund stammten. Ich stellte den Geisteszustand, den Verstand und den Intellekt des Autors in Frage. Ich »wies nach«, dass das Buch nicht nur schlecht war, sondern auch gefährlich, nicht nur mit Mängeln belastet, sondern opportunistisch, gruselig und abwegig. Von alledem war ich aufrichtig überzeugt. Es handelte sich bei diesem Buch tatsächlich um das denkbar schlimmste Machwerk. Wäre es ungeschickt und inkompetent, aber gut gemeint und in seiner Tendenz gefällig gewesen, ich bin sicher, ich hätte es durchgehen lassen. Da es jedoch »Das Mistding« war, fand sich keine Eigenschaft, die es hätte retten können, und ich kannte kein Halten. Ich möchte aber nicht übertreiben.Sie sollten bedenken, dass viele noch schlimmere Besprechungen dieses Buchs und anderer Bücher in jener Woche geschrieben wurden, und viele gemeinere und missbilligendere Artikel werden über Bücher allwöchentlich geschrieben. Nichtsdestoweniger würde meine Besprechung jeden Leser zusammenzucken und Partei für den Autor ergreifen lassen. Aber warum halte ich mich so lange bei diesem Buch und meiner Besprechung auf?
Während eines langen Lebens der Darbietung meiner Werke zur öffentlichen Inspektion habe ich meinen eigenen Anteil negativer Kritik eingeheimst. Ich habe keinen Blick mehr dafür übrig, und meine Freunde hüten sich, mit mir wegen einer Besprechung, die ich niemals lesen werde, zu leiden (oder gelegentlich ihre Glückwünsche auszusprechen). Aber in all den Jahren, in denen ich dem Drang nicht widerstehen konnte, die Kritiken zu meinen Arbeiten zu lesen, und mich dabei gebeutelt, erniedrigt und von den unzivilisierten Anwürfen oder dem grausamen Scharfblick entmutigt fühlte, bin ich mir auch nur annähernd so elend vorgekommen wie in den Wochen nach der Veröffentlichung meiner Attacke auf Das Mistding. Ich lag nachts wach und malte mir seine/ihre Reaktion aus. Im Feigheitsmodus stellte ich mir vor, dass mir eines Tages, wenn ich es am wenigsten erwartete, dieser inzwischen völlig verwirrte und verarmte Exautor auflauerte und mir eine Ladung echtes Vitriol ins Gesicht schüttete, um sich für den Schwall virtuelles Vitriol zu rächen, mit dem ich ihn malträtiert hatte. In weniger egoistischen Stimmungsmomenten malte ich mir sein Elend aus und seine Erniedrigung, und ich kam mir vor wie der übelste Peiniger. Welches Recht hatte ich, den Autor oder die Autorinins Unglück zu stürzen? Wieso war es mein Geschäft, die Ungeschicklichkeiten seiner Formulierungen und die Unrichtigkeiten seiner Gedankengänge zu beleuchten? Anders gesagt: Wo, verdammte Scheiße, ging mir dabei einer ab?
Jede Menge Rezensenten und Kritiker werden sagen, wenn sich jemand entschließe, sein Werk für Geld auf dem Markt anzubieten, dann sollte die Öffentlichkeit gewarnt werden, bevor sie eine Ausgabe tätigt, die unwiederbringlich ist. Wenn ihr Schreiber und Darsteller die Hitze nicht ertragen könnt, sagen sie, müsst ihr aus der Küche verschwinden. Und sie werden hinzufügen, indem sie die Frage umdrehen, welches Recht die Ausführenden von Theater, Literatur, Film, Fernsehen oder sonst einer Kunstrichtung denn hätten, dass sie sich anheischig machten, Immunität gegenüber informierter Meinung zu besitzen? Darf man sich ihnen nur mit Lob und Applaus zuwenden, müssen sie immerfort gepriesen, gehätschelt und gestreichelt werden?
Ich kann keinem einzigen Wort dieser und so mancher anderer schlüssiger
plaidoyers
widersprechen, die von den Apologeten der Kritik routinemäßig gehalten werden. Es gibt alle möglichen Reaktionen und Einstellungen, mit deren Hilfe sich die Kunst und Praxis des Rezensierens rechtfertigen lassen, aber keine von ihnen, nicht eine Einzige, widmet sich der Frage, wie man mit
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