02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
im Stich lässt, und Ernährern, die noch zorniger sind, weil man anscheinend nicht zu schätzen weiß, wie sehr sie sich abarbeiten. »Ich tue das doch nur für euch!«, rufen sie. Es mag ja wahr sein, dass Arbeit das Essen auf den Tisch bringt, aber jeder, der sich in der Umgebung hart Arbeitender aufhält, weiß, dass sie es um ihrer selbst willen tun. Die meisten Kinder von Workaholics würden lieber weniger Geld sehen und dafür mehr von ihrem Elternteil haben.
Kaum hatte ich Cambridge ein Jahr hinter mir gelassen, spielten Freunde und Familie schon auf meine offenkundige Unfähigkeit an, das Wort »nein« zu gebrauchen. Schon bald bekam ich mit, dass man mich als Workaholic bezeichnete. Kim zog das Wort »ergomanisch« vor, zum Teil weil er Altsprachler war, und andererseits, wie ich vermute, weil der Wortteil »manisch« besser die absurde Raserei beschrieb, mit der ich mich immer häufiger auf jedes Angebot stürzte, das sich mir bot. Bis zum heutigen Tag werde ich oft von denjenigen, die um mich sind, daran erinnert, dass ich nicht zu allem ja sagen muss und dass es so etwas wie Ferien gibt. Ich glaube ihnen natürlich nicht, egal wie oft sie bekräftigen, dass es stimmt.
Allerdings stellt sich immer wieder die Frage, ob meine Produktivität, Ubiquität und, ja … Karrierehurerei … mich daran gehindert haben, zu erkennen, was in der Welt der Väter, Lehrer und Erwachsenen allgemein»mein volles Potential« genannt werden könnte. Hugh und Emma, um die beiden mir besonders nahestehenden Zeitgenossen zu nennen, sind nie so unbekümmert, verschwenderisch und leichtsinnig mit ihren Talenten umgegangen wie ich. Damit will ich sagen, dass sie immer Grund genug hatten, mehr an ihre Talente zu glauben, als ich an meine glauben konnte. Aber ich möchte auch sagen, dass ich mehr Spaß hatte als sie, und:
Denn wenn der große Abrechner kommt,
Um deinem Namen das Ergebnis zuzuschreiben,
Dann notiert er nicht – dass du Sieger warst oder Verlierer,
Sondern nur, wie du dein Spiel gespielt.
Was ja gut und schön sein mag, aber wenngleich ich alle möglichen Dinge sagen möchte, bin ich nicht sicher, dass sie notwendigerweise auch stimmen würden. Ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, dass ich jede Nacht vorm Einschlafen verpassten Gelegenheiten nachtrauere. »Jeden Abend« wäre eine Übertreibung. Es gibt jedoch ein Traumbild, das sich häufig einstellt:
Ich sehe mich auf der Oberfläche eines Ozeans: Der Lauf meines Lebens stellt sich dar als das Absinken auf den Meeresgrund. Während ich sinke, versuche ich, unscharfe, aber verlockende Bilder zu greifen und festzuhalten, die jeweils die Berufung zum Autor, Schauspieler, Comedian, Filmregisseur, Politiker oder Akademiker repräsentieren, aber sie alle winden und kräuseln sich spielerisch aufreizend, bis sie außer Reichweite sind, oder vielleicht sollte ich wahrheitsgemäß sagen, dass ich einfach Angst habe, vorzuschnellen und eines von ihnen zu packen und an mich zu pressen.Aus Furcht, mich auf eines von ihnen festzulegen, lege ich mich auf keines fest und lande mit leeren Händen und unerfüllt auf dem Grund. Das ist eine selbstglorifizierende, klägliche und absurde Phantasie der Reue, ich weiß, aber ich erlebe sie häufig. Ich schließe das Buch, das ich im Bett gelesen habe, und derselbe Film läuft immer wieder und wieder vor meinem inneren Auge ab, bevor ich einschlafe. Ich weiß, dass ich im Ruf stehe, klug und redegewandt zu sein, aber ich weiß auch, dass sich die Leute fragen müssen, warum ich nichts Besseres aus meinem Leben und meinen Talenten gemacht habe. Ein Eleve in so vielen Metiers und ganz gewiss kein Meister in einem einzigen. In selbstgewissen Augenblicken bin ich völlig zufrieden mit diesem Ergebnis, denn mir widerstrebt es, im Studierzimmer eines Schulrektors auf dem Teppich zu stehen und sein abgeklärtes Kopfschütteln ebenso ertragen zu müssen wie die mit Grabesstimme vorgetragenen Zeugnisanmerkungen zu meinen Unzulänglichkeiten. Derlei Gebaren ist grotesk, dreist und irrelevant. »Könnte besser sein« ist eine belanglose Schlussfolgerung. »Könnte glücklicher sein« ist die einzige, die zählt. Mir boten sich fünfmal mehr Gelegenheiten und Erlebnisse, als den meisten Menschen zuteilwurden, und wenn das Ergebnis die Nachwelt enttäuscht, kann mich die Nachwelt mal. In weniger selbstbewussten Augenblicken jedoch gehe ich natürlich mit den Urteilen der Kopfschüttler und Schulzeugnisrezitierer konform. Was
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