020 - A.S. der Unsichtbare
Nachmittag glücklich zurück, jauchzend vor Freude. Wie schön wäre es, wenn sie durch dieselben Felder und über dieselben Brücken mit ruhigem Gemüt nach Hause fahren könnte.
Mechanisch betrachtete sie durch das Fenster die Landschaft, an der sie ihr Zug vorbeiführte.
Ihre Träumereien waren zu Ende, als sie ausstieg. Sie eilte durch die drängende Menschenmenge. Ein Taxi kam auf ihren Wink heran.
»... Ashlar Building?« sagte der Chauffeur überlegend. »Ja, ich weiß, was Sie meinen, Fräulein.«
Ashlar Building war ein großes Bürohaus; sie hatte es noch nie gesehen und wußte auch nicht, wie sie den Mann finden sollte, den sie sprechen mußte. In der Eingangshalle sah sie jedoch die Firmentafeln, die die zwei einander gegenüberliegenden Wände bedeckten. Sie las eine nach der anderen, bis sie plötzlich anhielt.
»309, Albert Selim.«
Seine Geschäftsräume lagen im fünften Stock.
Es dauerte einige Zeit, bis sie das Büro gefunden hatte, denn es lag am Ende eines langen Flügels. Sie sah zwei Türen, Die eine trug die Aufschrift Privat, die andere Alb. Selim.
Sie klopfte an, und jemand rief: »Herein!«
Eine kleine Schranke trennte den eigentlichen Büroraum von dem schmalen Gang, in dem sich die Besucher im allgemeinen aufhalten durften.
»Nun, Miss?«
Der Herr, der auf sie zutrat, sprach barsch, beinahe feindselig.
»Ich möchte Mr. Selim sprechen«, sagte sie, aber der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Das ist unmöglich, wenn Sie nicht eine Verabredung mit ihm haben. Und auch dann würde er nicht persönlich verhandeln.« Plötzlich unterbrach er sich und sah sie groß an. »Aber Sie sind doch Miss Nelson«, sagte er dann erstaunt. »Ich hatte nie erwartet, Sie hierzu sehen.«
Sie wurde über und über rot und versuchte vergeblich, sich zu besinnen, woher er sie kennen konnte.
»Sie erinnern sich sicher - Sweeny ist mein Name.«
Sie errötete noch mehr.
»Ja, natürlich - Sweeny.«
Sie war bestürzt und fühlte sich gedemütigt, als sie ihn erkannte.
»Sie haben seinerzeit Ihre Stelle bei Mr. Merrivan sehr schnell verlassen?«
Nun wurde es ihm ungemütlich, als das Gespräch diese Wendung nahm.
»Ja, das stimmt.« Er räusperte sich verlegen. »Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Mr. Merrivan. Ein geiziger Mensch! Und schrecklich mißtrauisch!« Er räusperte sich wieder. »Haben Sie damals nichts darüber gehört?«
Sie verneinte. Die Dienstboten blieben nicht lange genug im Nelsonschen Haus in Stellung und wurden nicht so vertraut mit ihrer Herrschaft, daß sie über Klatsch sprechen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten.
»Nun, die Sache verhielt sich so.« Mr. Sweeny war ein wenig erleichtert, daß er Gelegenheit hatte, ihr die Geschichte zuerst von seinem Standpunkt aus zu erzählen. »Mr. Merrivan vermißte einige Stücke seines Tafelsilbers, die ich unglücklicherweise meinem Bruder geliehen hatte, der sie kopieren wollte. Er interessierte sich sehr für altes Silber, da er selbst gelernter Juwelier und Goldschmied ist. Als nun Mr. Merrivan die Stücke vermißte « Er hustete wieder, wurde sehr verwirrt und sagte, er sei bezichtigt worden, das Silber gestohlen zu haben!
Mr. Merrivan hatte ihn fristlos entlassen! »Ich hätte damals verhungern können, wenn nicht Mr. Selim von mir gehört und mir diese Stellung gegeben hätte. Sie ist nicht gerade glänzend«, fügte er entschuldigend hinzu, »aber es ist doch wenigstens etwas. Ich wünsche oft, ich wäre wieder dort in dem hübschen Tal von Beverley Green.«
Sie unterbrach ihn: »Wann kann ich denn Mr. Selim sprechen?«
Aber er schüttelte wieder energisch den Kopf.
»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Miss Nelson. Ich habe ihn selbst auch noch nicht gesehen.«
»Wie?« Sie starrte ihn verwirrt an.
»Das ist eine Tatsache. Er ist Geldverleiher - aber das brauche ich Ihnen doch nicht zu erzählen.«
Er sah sie mit einem wissenden Blick an, und sie wäre am liebsten vor Scham in den Boden versunken.
»Er wickelt alle seine Geschäfte brieflich ab. Ich empfange hier die Besucher und bespreche mit ihnen die Angelegenheit. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß er sich daran hält«, erklärte er. »Die Kunden füllen dann die Formulare aus - Sie verstehen mich schon , sie geben an, welche Summe sie brauchen, welche Sicherheiten sie bieten können und dergleichen Dinge - und ich lasse dann die Schriftstücke hier im Geldschrank für Mr. Selim, bis er kommt.«
»Wann kommt er
Weitere Kostenlose Bücher