0239 - Das Erbe des Zauberers
erforschen. Sie erreichten zwar den Gipfelrand des Plateaus, mußten aber umkehren, um das nackte Leben zu wahren. Die Berichte hierüber waren reichlich verworren.«
»Weiße Männer sind dumm!« sagte Ollam-onga, »klettern wie Affen. Ju-Ju-Männer wissen besseren Weg. Sicherlich…«
»Welchen!« bellte Amun-Re.
»Ollam-onga weiß nicht!« sagte dieser. »Zauberbruder wird Weg finden, wenn Zeit reif. Denn, höre, Zauberbruder, was Ollam-onga weiß, was Ollam-onga dir jetzt verkündet…«
Seine Stimme nahm einen feierlichen Klang an.
»… unter den undurchdringlichen Dschungeln auf dem Hochplateau dämmert, verdeckt von den Blättern der Bäume, eine schwarze Pyramide dahin. Pyramide ist Heiligtum von Ju-Ju-Männem. Und die bewahren als größtes Heiligtum einen mächtigen Jadestein, in dem sich ein Schwert befindet. Ein Schwert, dessen Klinge wie frostiges Feuer glitzert und auf dessen Goldknauf seltene und edle Steine funkeln, wie sie nie eines Menschen Auge erblickt hat.«
»Gwaiyur!« hauchte Amun-Re. »Ich muß es besitzen«, fuhr er im nächsten Moment auf. »Erzähle mehr, Ollam-onga. Wo ist das? Wie kann ich es stehlen?«
»Ollam-onga weiß nicht!« zuckte dieser die Schultern. »Nicht alle Geheimnisse sind mir offenbar. Du kennen - und du fürchten dieses Schwert. Wer dir sagen, ob Schwert dir dienen? Ob Schwert dir dienen wollen !«
Amum-Re wollte auffahren. Dieser Alte erregte seinen Zorn. Er würde ihn töten. Aber im Augenblick brauchte er ihn noch. Der Magier wartete auf den Moment, wo Ollam-onga nicht von der Macht seines Ju-Ju-Stabes geschützt wurde.
»Komm, Zauberbruder! Opfer ist bereit!« rief der Hungan und deutete in Richtung Ausgang. Langsam erhob sich Amun-Re. Die Hände der Trommler wirbelten über die vibrierenden Felle. Andere schlugen mit Stöcken oder Wurzelknollen einen Gegentakt. Und alles wurde untermalt von einem seltsamen Instrument in der Form eines Xylophones oder Hackbrettes. Aber hier wurden keine Saiten oder Klanghölzer angeschlagen. Es waren Knochen, auf denen die wirbelnden Hände eines dunkelhäutigen Mannes eine grausig wimmernde Melodie intonierte.
Knochen! Menschenknochen! Röhrenknochen, mit denen ein unheiliger Klang erzeugt wurde. Und es blieb immer bei der gleichen, nervenzerfetzenden Melodienfolge.
Die Orgie des Wahnsinns hatte begonnen!
Von seinem sicheren Versteck aus beobachtete Zamorra das wilde, exotische Treiben unter sich. Manch ein Wissenschaftler oder Völkerkundler hätte sicherlich viel dafür gegeben, diesen verfluchten Ritus erleben zu dürfen. Irgendwie fiel Zamorra jetzt gerade Ted Ewigk, der Star-Reporter ein. Was würde er für eine Reportage aus diesem Erlebnis machen!
Aber für den Meister des Übersinnlichen, obwohl er als Wissenschaftler von dieser Zeremonie, die sicherlich in dieser Form noch kein weißer Mann zu Gesicht bekommen hatte, fasziniert war, war das Geschehen mit tödlichen Gefahren verbunden.
Seine Hand krampfte sich um ein Bündel Schlingpflanzen, an denen er sich hinunterschwingen lassen wollte. Gott sei Dank besaß er in seinem Fitneß-Center auf Château Montagne auch von der Decke herabhängende Kletterseile. Und er hatte sich einmal in einem Zirkus von einem Trapez-Artisten allerhand Tricks zeigen lassen. Der Parapsychologe fühlte sich der vor ihm liegenden Aufgabe wohl gewachsen.
Trotzdem war das Gelingen reine Glücksache. Wieder einmal warf Professor Zamorra sein Leben in die Waagschale, um einen Menschen zu retten.
Seine Blicke versuchten, die Nacht zu durchbrechen. Ob Stanton schon drüben war?
Unter ihm zuckten die Leiber der Tanzenden. Wilde Schreie schrillten aus den Kehlen der Tänzer, da und dort undefinierbares Stöhnen oder haltloses Wimmern. Die Gemeinde war in Trance. Der Rhythmus der Trommeln, die stupide Melodie des Knochen-Xylophones und ihre Art, sich hingabevoll ihren Stimmungen auszuliefern, hatte dafür gesorgt, daß jegliches klares Denken der Anwesenden aussetzte. Die Götter ihres Glaubens ergriffen von ihnen Besitz. Die Geister ihrer finsteren Götzen fuhren in ihre Leiber.
Professor Zamorra war einigermaßen über die Gottheiten informiert, zu denen die Jünger des Voodoo-Kultes riefen. Und so konnte er an der Art des Tanzes und an den Gebärden einzelner feststellen, welches dunkle Wesen aus dem Zwischenreich hier von der sterblichen Hülle eines Voodoo-Gläubigen Besitz ergriffen hatte. Denn die Besessenen nehmen nicht nur die Persönlichkeit des Götzen an, während ihr
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