0239 - Das Erbe des Zauberers
er sein Lebtag gearbeitet hatte, war nun erreicht. Heute nacht könnten seit den Tagen, die längst den Gedanken der Menschen entschwunden sind, zum ersten Male wieder die Schreckensgötter des Ju-Ju angerufen werden.
Zwar war zu allen Zeiten auch zu den Blutdämonen des Ju-Ju gebetet worden, aber der Hungan konnte sich nicht erinnern, daß ihnen je die Opfer gespendet wurden, von denen die Alten raunten.
Denn nur die wesentlich freundlicheren Götzen des Voodoo begnügen sich mit dem Blut von Schweinen. Oder sie erscheinen, wenn das Leben eines Hahnes oder einer Henne zu ihren Ehren ausgelöscht wird.
Die Ju-Ju-Dämonen aber sind nur durch das Blut einer makellosen Jungfrau zu beschwören. Nur durch den Tod eines reinen Mädchens können sie dem Willen des Magiers untertan werden.
Dieser Amun-Re, ihm an Macht und Wissen gleichzusetzen, hatte dem Hungan dieses Jungfrauenopfer beschafft. Und er hatte den Weg gewiesen, wie man die Dienste der Ju-Ju-Dämonen am besten ausnutzt. Die Geisterwesen sollten in die noch nicht völlig verwesten Körper derer fahren, die in den umliegenden Friedhöfen den ewigen Schlaf schlummerten. Erheben sollten sich die Toten aus den Gräbern und denen zu Diensten sein, die ihnen mit ihren höllischen Kräften neues Leben gegeben hatten.
Zombies - lebende Leichname sollten die getreusten Helfer ihrer entsetzlichen Pläne werden. Hier, im Delta des Orinoco, sollte die Zentrale des Schreckens entstehen, von der aus sie mit Hilfe der vom Bösen beseelten Leiber sich einen Teil der Welt nach dem anderen unterwarfen.
Ollam-onga ahnte, daß Amun-Re und er zusammen fast unschlagbar waren. Niemand hatte die Macht, sich ihnen in den Weg zu stellen. Und wenn - nun, die Toten reiten schnell. Nie war ein Mensch, der hier den Kampf aufnahm, seines Lebens sicher. Ständig mußten ihn die Leiber derer verfolgen, die Zauberkunst dem Zwange des Grabes entrissen hatte.
Zwar kursieren überall die Gerüchte, daß jeder der gefürchteten Voodoo-Priester den Verstorbenen neues Leben geben könnte, aber dies ist nicht ganz richtig. Nur ein sogenannter Bokor, einer von den Hungans, die dem Bösen und der Schwarzen Magie huldigen, ist in der Lage, einen Leichnam zum Zombie zu machen. Und hierzu braucht man nicht das Opfer einer Jungfrau.
Ollam-onga kannte genau die Wege, um die Seele eines Menschen einzufangen und seinen Leib dem Grabe zu entreißen. Oder mit dem Unsterblichen eines gerade Verstorbenen, das sich noch auf astraler Ebene auf dieser Welt bewegt, den Körper eines schon länger Verstorbenen zu beleben. Aber diese Art von Zombies konnten dem Ju-Ju-Mann und Amun-Re bei der Verfolgung ihrer Pläne nicht besonders nützen.
Zwar ist der echte Zombie ein willenloser Automat, der dazu bestimmt ist, in der Sklaverei des Magiers sein Dasein zu fristen, der ihn aus dem Grabe gerufen hat. Aber er wird nie etwas tun, was gegen die Institution seiner Seele ginge, die früher sein Gewissen war. Ein Zombie, der als Mensch sich redlich durchs Leben geschlagen hat, könnte auch im untoten Zustand nicht dazu bewegt werden, ein Verbrechen zu begehen.
Ollam-onga wußte, daß auf Haiti und den umliegenden Inseln der Karibik Zombies in den Pflanzungen und Plantagen arbeiteten. Sie forderten weder Lohn noch Essen und kannten keine Pause, arbeiten auf bloßen Befehl ihres Meisters und wurden sich weder ihrer Vergangenheit noch ihres gegenwärtigen Zustandes bewußt.
Und solche Wesen zu schaffen, war für einen Mächtigen wie Ollam-onga eine reine Routineangelegenheit. Hier aber sollten Wesen geschaffen werden, die den Befehlen ihrer Herren ohne Einschränkung nachkamen. Wesen, denen auch so etwas wie ein denkender Verstand innewohnte.
Ollam-onga sah unter sich den bebenden Körper des Mädchens. Er blickte in schreckgeweitete Augen, aus denen die Panik der Kreatur flackerte, die, den Tod vor Augen, in letzter Verzweiflung an ihren Banden zerrt.
Die wulstigen Lippen des Ju-Ju-Mannes murmelten die Beschwörungen, die er lernte, als er als Knabe zu Füßen mächtiger Schwarzzauberer saß und die Kunst der Hexerei lernte.
Es waren Worte, deren Sinn nur Amun-Re einigermaßen verständlich vorkam. Ja, manch eines dieser Worte kam ihm bekannt vor. Es erinnerte ihn an die alten Litaneien im Tempel des wahnsinnigen Gottes von Weridar, die von den Priestern in den kupfergedeckten Tempeln gesungen wurden, bevor der Ozean Atlantis fraß.
Sollte sich ein Teil der geheimen Riten aus den verbotenen Tempeln von Weridar bis in
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