0263 - Wenn die Totengeister schreien
fragte er sich im nächsten Moment. Wer sagte denn, daß sich Leonardos Fallenwelt unter der Erdoberfläche befand, nur weil der Schacht mit seiner Öffnung abwärts führte? Wenn es sich wirklich, wie Zamorra vermutete, um eine Dimensionsblase handelte, um eine Falte in der Welt, dann konnte sie sich ebensogut in tausend Metern Höhe oder auf der Mondumlaufbahn befinden. Richtungen spielten in der Magie kaum eine Rolle.
Der Silberstab hatte diesmal erhebliche Schwierigkeiten, sich durch die Wand zu brennen. Entweder ließ die Kraft nach, oder Leonardo hatte vorgesorgt, daß Zamorra nicht überall hingelangte, wohin er wollte…
Hoffentlich komme ich nicht zu spät, dachte er. Ich brauche Nicole… weniger in dieser Sache, als zum Leben… mit ihr…
Da brach er durch.
Wieder ein Korridor, diesmal leicht gebogen, aber auch wieder in Form einer Röhre. Zamorra ging vorsichtig ein paar Schritte weiter.
Da sah er den Schatten.
Hinter der Biegung stand jemand. Wahrscheinlich einer von Leonardos Skelett-Kriegern. Vorsichtig ging Zamorra weiter. Er faßte Gwaiyur fester, bereit zu kämpfen.
Jetzt sah er den Skelett-Krieger. Der stand gelangweilt da, wartete wohl auf einen Einsatzbefehl. Er beachtete Zamorra nicht, sah ihn nicht einmal an. Trotzdem beeilte der Parapsychologe sich, an ihm vorbei zu kommen. Einige Male sah er sich nach ihm um.
Aber der Knöcherne regte sich nicht.
Da wußte Zamorra, daß er ihn für einen der ihren hielt. Daß die Maske, so primitiv sie gemacht war, die Skelett-Krieger irritierte. Denn darüber saß ja noch der Helm, dazu kam die echte Rüstung.
Zamorra ging weiter. Der gekrümmte Gang schien wie jener andere kein Ende nehmen zu wollen. Aber dann war es plötzlich doch so weit. Er gabelte sich, aber zwischen den beiden Abzweigungen saß in der Spitze eine ovale Tür.
Sie war verschlossen.
Als Zamorra darauf zutrat, öffnete sie sich von selbst, als habe sie nur auf seine Annäherung gewartet. Er betrat einen dreieckigen Raum. Fast dreißig Skelett-Krieger zählte er, die hier auf Abruf warteten.
Auch sie nahmen von ihm keine Notiz.
Da hörte er weieder den schrillen Schrei.
Nummer sechs! Beim siebten Schrei würde jemand sterben!
Und plötzlich fürchtete er, daß diese Totenschreie diesmal weniger den Kylls galten, als vielmehr jemandem, der sich hier in Leonardos Höllenwelt befand.
Und das waren - er selbst und Nicole!
Dumpfe Furcht preßte sein Herz zusammen.
***
»Wo ist Zamorra?« wiederholte Leonardo kalt. Er hielt den Schädel in der Hand. Seine schwarzen Augen schienen Nicole durchbohren zu wollen.
Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen.
Beim nächsten Schrei - würde sie höchstwahrscheinlich sterben!
»Warte«, preße sie hervor. »Ich muß dir etwas sagen.«
»Ich bin nur an Zamorra interessiert«, versetzte er und hob den Schädel etwas an. Das war jedesmal die Bewegung, bevor er den Schädel nach seinem Willen schreien ließ.
»Nein!« rief Nicole. »Nicht! Zamorra…«
Die Hand sank etwas herab.
»Zamorra hat vier Schreie gezählt, bevor wir hier eindrangen«, stieß sie hervor. »Das sind dann zusammen sechs…«
»Um so mehr solltest du dich beeilen.«
»Vielleicht bist du es aber auch, der stirbt«, rief sie.
Kaum merklich zuckte Leonardo zusammen, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist nicht möglich«, sagte er. »Das hier schützt mich. Aber nur mich und sonst niemanden.« Er berührte das Amulett, das Nicole aus früheren Tagen so vertraut war.
»Wo ist Zamorra?«
Sie schluckte. Er fiel nicht auf ihren Versuch herein! Jetzt blieb ihr keine andere Wahl mehr. Sie mußte zur Verräterin werden, auch wenn sie es nicht wollte. Aber sie mußte noch überleben. Solange, bis Zamorra kam, weil sie nur gemeinsam eine Chance hatte. Und vielleicht war er ja schon ganz in der Nähe…
Doch sie zögerte noch immer. Wenn sie noch eine Minute gewann, oder zwei…
»Verspielt«, sagte Leonardo in diesem Moment.
Und der Tote schrie erneut.
***
Lady Mabel richtete sich steil in ihrem Sessel auf. »Nein«, stöhnte sie. »Nein… nicht auch noch Frederick…«
Aber Frederick starb!
Er starb direkt neben ihr, wo er in einem anderen Sessel kauerte und vor sich hin brütete; der Tod seiner beiden Brüder hatte ihn arg mitgenommen. Mabel hatte ihn zu sich geholt, weil sie ihn in ihrer Nähe haben und notfalls beschützen konnte. Aber wie sollte sie ihn gegen schwarze Magie schützen?
Sein Gesicht verzerrte sich in namenlosem Entsetzen, und dann kippte
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