029 - Der tätowierte Tod
unter seinen Schurz und holte ein Bündel zerknitterter Banknoten hervor. Paul gingen fast die Augen über. Der Tätowierer drückte ihm einen Geldschein in die Hand und bemerkte dazu: »Den Rest bekommen Sie nach der Sitzung. Aber jetzt fangen wir an.«
Paul bekam wieder das mulmige Gefühl. Warum hatte es der Glatzkopf nur so eilig?
Der Tätowierer befahl Paul, den Oberkörper zu entblößen; er war ihm sogar behilflich, da es ihm anscheinend zu langsam ging. Dann kam er mit einer Palette, Farbtiegeln und kleinen Köchern mit verschieden dicken Nadeln. Während er die Palette in der einen Hand balancierte, wandte er sich der verhüllten Gestalt zu und nahm aus dem Umhang ein Stück Stoff heraus, so daß eine handtellergroße Öffnung entstand.
Obwohl die Beleuchtung in dem Raum mehr als ungenügend war, konnte Paul ganz deutlich sehen, was hinter der Öffnung lag. Es handelte sich um eine Zeichnung auf pergamentartigem Untergrund, die in Rot und Blau gehalten war und von sich aus zu leuchten schien. Paul bekam eine regelrechte Gänsehaut, als er das Motiv erkannte: einen dreiköpfigen Teufel mit ausgebreiteten Schwingen.
»He, was soll das?« rief Paul entsetzt. »Wollen Sie mir etwa dieses Scheusal auf die Brust tätowieren? Ich hatte eigentlich ein anderes Motiv im Auge. Ein Herz, in dem der Name Ginger …«
»Srasham!« sagte der Tätowierer mit seltsamer Betonung und drückte Paul fast spielerisch auf die Couch zurück, als er sich aufrichten wollte.
Paul versuchte noch einmal, sich zur Wehr zu setzen, doch plötzlich erlahmte sein Widerstand. Hinter dem Tätowierer war eine junge Frau aufgetaucht. Sie war atemberaubend schön und rassig und hatte große, schwarze Augen, in denen sich Staunen spiegelte. Ihr kohlschwarzes Haar war halb unter einem ornamentbestickten Käppchen verborgen.
Paul war von ihrem Anblick so fasziniert, daß er alle Gegenwehr vergaß. Als ihn gleich darauf der Tätowierer mit seinen Nadeln zu bearbeiten begann, spürte er es kaum. Erst als die Stiche immer mehr schmerzten, fand er in die Wirklichkeit zurück.
»Hören Sie, Meze«, begehrte er wieder auf, »solch ein Ungeheuer lasse ich mir um keinen Preis der Welt …«
»Wie heißt du?« fragte die Fremde mit tiefer, kehliger Stimme.
»Paul Fisher.«
»Ruhig, Paul! Nur ruhig!« redete sie ihm zu, während Meze mit der Tätowierungsprozedur fortfuhr.
»Ja, ganz ruhig bleiben«, murmelte Meze beschwörend. »Und blicke zu Aysha. Ist sie nicht ein wunderschönes Geschöpf? Sieh sie dir an, Paul, und um dich versinkt die Welt.«
In Pauls Ohren war plötzlich ein Rauschen. Die Stimmen entrückten in immer weitere Ferne, als er wieder zu Aysha hochblickte, deren Gesicht immer noch bis auf das leichte Staunen ausdruckslos war. Jetzt erschienen ihre Hände in Pauls Blickfeld. Die grazilen Finger faßten nach ihrem Halsausschnitt und begannen einen Knopf nach dem anderen zu öffnen.
Paul bekam eine ganz trockene Kehle, als sie den letzten Knopf öffnete und die Bluse über ihre Schulter gleiten ließ. Sie hatte darunter nichts an, so daß ihre wohlgeformten kleinen Brüste Pauls Blicken preisgegeben waren. Doch dafür hatte er keine Augen. Er starrte nur auf die Tätowierung, die zwischen ihren Brüsten eingebettet war. Sie stellte ein schillerndes Augenpaar dar, das von einem geschuppten Schlangenkopf umrahmt war. Wenn sie atmete und sich dabei ihr Busen hob und senkte, bewegten sich auch die Schlangenaugen – und sie versprühten auf einmal ein geheimnisvolles Feuer, das Paul bannte. Er konnte den Blick nicht von den tätowierten Schlangenaugen reißen; wie hypnotisiert lag er da – und die Welt versank um ihn.
Paul verlor jegliches Zeitgefühl. Er hatte keine Ahnung, wie lange die Sitzung dauerte; vielleicht Stunden, oder gar einen ganzen Tag? Er hatte nur eine schwache Erinnerung daran, daß Aysha ihm in einer fremden Sprache beruhigende Worte zugeflüstert, ihn zwischendurch gelabt, seine heiße Stirn betupft und ihm eine warme, wohltuende Flüssigkeit eingeflößt hatte, während Meze sein Werk vollendete.
Dann war der Bann gebrochen. Aysha war nicht mehr zu sehen.
Meze drückte ihm etwas in die Hand und sprach: »… bist du einer von uns …«
Und dann war auch Meze fort.
Paul erhob sich wie in Trance, steckte automatisch das Geld ein und kleidete sich an. Bevor er sein Hemd zuknöpfte, fiel sein Blick auf die verhüllte Statue. Er sah die Öffnung in dem Umhang, doch das Bildnis des dreiköpfigen Teufels in Rot und
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