03 Göttlich verliebt
anzusehen.
Hades’ sanfter Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. Er schien über das nachzudenken, was Helen gesagt hatte. »Wie du die Furien befreit hast, zeigt mir, dass du Mitgefühl besitzt. Das ist ein guter Anfang, aber ich fürchte, Mitgefühl allein reicht nicht, Helen. Dir mangelt es an Verständnis.«
»War etwa alles nur eine Prüfung? Das mit den Furien?« Helen konnte nicht vermeiden, dass sich ein anklagender Tonfall in ihre Stimme schlich, als sie daran dachte, was sie und Orion auf ihrer letzten Mission in der Unterwelt alles ertragen hatten. Noch wütender machte sie die Erinnerung an die Qualen, denen die Furien ausgesetzt gewesen waren. Wenn diese drei Mädchen viele tausend Jahre lang gelitten hatten, nur um zu beweisen, dass Helen ein mitfühlender Mensch war, dann stimmte etwas mit dem Universum nicht – ganz und gar nicht.
»Eine Prüfung.« Hades’ Lippen verzogen sich angewidert, als könnte er Helens Gedanken lesen und fände die Vorstellung genauso abstoßend. »Wenn das Leben eine Prüfung ist, was glaubst du, wer sie benotet?«
»Du?«, riet sie.
»Du verstehst es immer noch nicht«, seufzte er. »Du verstehst nicht einmal, was das hier ist.« Er deutete um sich herum auf die Unterwelt. »Oder was du bist. Man nennt dich die Deszenderin, weil du herkommen kannst, wann immer du willst, aber die Fähigkeit, die Unterwelt zu betreten, ist nur der kleinste Teil deiner Kraft. Du weißt noch nicht annähernd genug über dich selbst, um über andere zu urteilen.«
»Dann hilf mir.« Plötzlich wollte sie unbedingt seine Augen sehen. Sie beugte sich zu ihm und versuchte, unter den Stoff zu spähen, der sein Gesicht verdeckte. »Ich will es verstehen.«
Sofort umwirbelten ihn wieder die Schatten und verbargen ihn mit dem bedauernden Gemurmel der Toten. Helen fuhr zurück.
»Die Schattenmeister«, hauchte sie. »Bekommen sie ihre Dunkelheit von dir?«
»Vor langer Zeit hatte eine Frau namens Morgan La Fay aus dem Haus von Theben dieselbe Begabung wie du – auch sie konnte in die Unterwelt gehen. Sie schenkte mir einen Sohn mit Namen Mordred und seitdem verfolgen meine dunklen Schatten das Haus von Theben.« Er verstummte voller Bedauern, stand dann auf und hielt ihr die Hand hin. Helen ließ sich von ihm aufhelfen. »Du musst jetzt heimgehen. Komm zu mir, sooft du willst, Nichte, und ich werde mein Bestes tun, dir alles zu erklären.« Hades legte den Kopf ein wenig schief und lachte leise auf. Durch die leicht geöffneten Lippen konnte Helen seine Schneidezähne sehen, die geformt waren wie Diamanten. »Deswegen habe ich dir und deinen Vorgängern erlaubt, mein Reich zu betreten – damit ihr alles über euch selbst lernt. Aber im Moment bist du zu schwer verletzt, um hier zu sein.«
Die Welt schwankte, und Helen spürte, wie seine Riesenhand sie aus der Unterwelt hob und sanft in ein Bett legte.
»Warte! Was ist mit Zach?«, fragte sie. Als Hades sie losließ, hörte Helen sein Wispern in ihrem Ohr.
»Zach wird aus dem Fluss der Freude trinken, das schwöre ich. Und jetzt ruh dich aus, Nichte.«
Helen streckte die Hand aus, um die Schatten aus seinem Gesicht zu vertreiben, aber Hades war schon fort. Sie fiel in Morpheus’ Arme, und ihr zerschlagener Körper sog den Schlaf gierig ein, denn er war eine der Grundlagen für die Selbstheilung.
Nachdem Ares im Tartaros eingesperrt und die Kluft im Boden geschlossen war, hob Daphne ihre Tochter Helen auf. Castor trug den verletzten Lucas heim und Hector brachte Orion zum Anwesen.
Daphne war erst ein kurzes Stück neben ihnen hergerannt, als Helen in ihren Armen einschlief. Einen Moment lang hatte Daphne Angst um sie. Helens Verletzungen waren so schlimm, wie Daphne es bisher nur selten gesehen hatte. Aber dann überprüfte sie Helens Puls und stellte erleichtert fest, dass ihr Herz zwar langsam, aber stetig schlug.
Der Morgen brach gerade an, als sie von den Höhlen auf dem Festland von Massachusetts nach Nantucket zurückkehrten. Daphne trug Helen die Treppe im Delos-Haus hinauf und suchte im Obergeschoss nach dem ersten Raum, der nach einem Mädchenzimmer aussah. Bedauernd betrachtete sie den hübschen Bettbezug aus Seide, den ihre blutverschmierte Tochter schmutzig machen würde. Nicht, dass das eine Rolle spielte. Das Haus von Theben verfügte über nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel und konnte alles ersetzen. Finanzielle Mittel, von denen ein Teil einst dem Haus von Daphne und Helen gehört hatte, dem Haus von
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