03 Göttlich verliebt
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Z u ihrer Linken sah Helen etwas, das vermutlich der Styx war, denn in dem reißenden Strom trieben Unmengen von scharfkantigen Eisstücken. Niemand würde versuchen, den Fluss zu durchqueren. Frustriert humpelte Helen weiter. Dabei sah sie sich hoffnungsvoll um, doch sie war ganz allein in dieser kargen Landschaft.
»So ein Mist«, fluchte sie mit rauer Stimme. Ihre Stimmbänder waren noch nicht vollständig geheilt. Vor knapp einer Stunde hatte Ares ihr die Kehle durchgeschnitten, und obwohl das Sprechen immer noch schmerzte, war es eine Wohltat, ihrem Ärger Luft zu machen. »Das ist wieder typisch.«
Sie hatte ihrem Freund Zach ein Versprechen gegeben. Er war in ihren Armen gestorben, und sie hatte geschworen, dass er in seinem Leben nach dem Tod aus dem Fluss der Freude trinken würde. Zach hatte sich geopfert, um ihr zu helfen, und ohne den entscheidenden Hinweis, den er ihr in den letzten Momenten seines Lebens gegeben hatte, hätte sie Automedon niemals töten und auch Lucas und Orion nicht retten können.
Helen war fest entschlossen, ihr Versprechen zu halten, auch wenn sie Zach eigenhändig auf die Elysischen Felder und an den Fluss der Freude tragen musste – obwohl sie sich selbst kaum auf den Beinen halten konnte. Doch aus irgendeinem Grund funktionierte ihre übliche Art, sich in der Unterwelt fortzubewegen, plötzlich nicht mehr. Bisher hatte sie immer nur laut aussprechen müssen, wohin sie wollte, und schon war sie wie durch Zauberhand an den gewünschten Ort befördert worden.
Sie war die Deszenderin und damit eine der ganz wenigen Scions, die auch körperlich in die Unterwelt hinabsteigen konnten – und nicht nur im Geiste wie alle anderen. Sie konnte sogar ihre Umgebung ein wenig kontrollieren, aber jetzt, wo sie diese Begabung am Dringendsten brauchte, war sie verschwunden. Typisch griechisch. Das war es, was Helen an ihrem Leben als Scion am meisten hasste: diese ständige, nervtötende Ironie des Schicksals.
Helen kniff frustriert die aufgeschlagenen Lippen zusammen und richtete ihre heisere Stimme in Richtung Himmel. »Ich sagte, ich will zu Zachs Geist!«
»Ich habe seine Seele, Nichte.«
Helen fuhr herum und musste feststellen, dass Hades, der Herrscher über die Unterwelt, nur wenige Schritte hinter ihr stand. Er war in Schatten gehüllt, die sich um ihn herum auflösten wie Nebelschwaden. Der Helm der Dunkelheit und die weiten Stoffbahnen seiner schwarzen Toga verdeckten einen Großteil seines Gesichts, aber Helen konnte zumindest seinen sinnlichen Mund und das markante Kinn sehen. Der Rest der Toga war stilvoll um seinen Körper drapiert. Dabei blieben die Hälfte seines Oberkörpers und seine muskulösen Arme und Beine nackt. Helen schluckte und konzentrierte sich darauf, ihn mit ihren zugeschwollenen Augen anzusehen.
»Bitte setz dich, bevor du umkippst«, sagte er sanft. Zwei einfache gepolsterte Klappstühle tauchten aus dem Nichts auf, und Helen ließ ihren geschundenen Körper auf den einen sinken, während Hades den anderen nahm. »Du bist immer noch verwundet. Warum bist du hergekommen, obwohl du eigentlich heilen solltest?«
»Ich muss meinen Freund ins Paradies führen. Wo er hingehört.« Helens Stimme zitterte vor Angst, obwohl Hades ihr nie etwas getan hatte. Anders als Ares, der Gott, der sie gerade gefoltert hatte, war Hades eigentlich bei jeder ihrer Begegnungen bisher recht freundlich gewesen. Aber er war immerhin der Herr über das Totenreich, und die Schatten, die ihn umgaben, waren erfüllt vom Gewisper der Geister.
»Wie kommst du darauf, dass du entscheidest, wohin seine Seele gehört?«, fragte er.
»Er war ein Held … Vielleicht nicht von Anfang an, als er noch ein richtiger Idiot war, aber am Ende schon, und das ist es doch, was zählt, oder? Und Helden dürfen auf die Elysischen Felder.«
»Ich hatte Zachs Heldenmut nicht infrage gestellt«, bemerkte Hades sanft. »Was ich gefragt habe, war: Was bringt dich auf die Idee, dass du über seine Seele urteilst?«
»Ich … was?«, stieß Helen verwirrt hervor. In ihrem Kopf hämmerte es immer noch so stark, dass ihr der Sinn nicht nach Wortklaubereien stand. »Ich bin nicht gekommen, um über irgendwen zu urteilen. Ich habe nur ein Versprechen gegeben und beabsichtige, es einzuhalten.«
»Und dennoch bin ich es, der hier die Entscheidungen trifft. Nicht du.«
Dem konnte Helen nicht widersprechen. Dies hier war sein Reich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn flehentlich
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