0305 - Der Tod schminkt sich die Lippen
stürzte, fiel sie ihm aus der Hand, und irgendeiner der Ganoven aus Bens Kneipe hob das Ding auf und ließ es in seine Tasche gleiten. Unter Brüdern ist eine gut funktionierende Kanone mit Munition ihre vierhundert Dollar wert. Von Bens Gästen läßt bestimmt keiner vierhundert Dollar auf der Straße liegen, wenn er sich nur danach zu bücken braucht.«
»Natürlich ist es möglich, daß sich einer der Ganoven die Kanone unter den Nagel gerissen hat, aber trotzdem glaube ich nicht daran. Ben selbst sagt, daß er gesehen habe, wie sich ein Mann praktisch von der Stelle aus, an der der Erschossene lag, in ein anfahrendes Auto geschwungen habe. Dieser Mann, der der Mörder gewesen sein mag, kann Hart die Pistole abgenommen haben.«
»Warum soll er das getan haben?«
»Eigentlich keine Frage! Weil mit Harts Kanone ein Verbrechen begangen wurde, und weil der oder die Mörder wußten, daß die Polizei feststellen würde, welches Verbrechen, deutlicher gesagt: welcher Mord, damit begangen worden war. Die Gangster wissen genau über die Methoden Bescheid, mit denen wir Waffen und Kugeln untersuchen. Sie wissen, daß die Polizei-Labors feststellen können, welche Kugel aus welcher Waffe verschossen wurde. Darum durfte uns Harts Waffe nicht in die Hände fallen.«
Phil lächelte. »Sherlock Holmes würde gelb vor Neid, wenn er deine messerscharfen Schlüsse hörte«, sagte er freundlich. »Komischer Bursche, dieser Alwyn Hart mit seiner Vorliebe für Schießeisen.«
»Er konnte enorm damit umgehen. Er zeigte es mir in der Kaschemme.«
»Glaubst du, daß ein solcher Pistolenliebhaber sich von seinem Schießeisen trennen würde?« fragte Phil sanft. »Daß er es zum Beispiel verleihen könnte?«
»Ausgeschlossen«, lachte ich.
Phil lächelte.
»Somit käme nur Alwyn Hart als Mörder in Betracht. Stimmt das?«
»Ja.«
»Sherlock Holmes«, sagte Phil, »bitte, erkläre mir, warum die Mörder des Mörders die Mordpistole klauen, wenn der Mann, der sie benutzt hat, tot auf dem Pflaster liegt, nicht ■ mehr reden und niemanden mehr verraten kann. Wenn Alwyn Hart einen bestimmten Mord begangen hat, warum soll die Polizei nicht erfahren, daß er dieses oder jenes Verbrechen beging?«
»Naja«, brummte ich, »vielleicht weil die Umstände gewisse Rückschlüsse ermöglichten, die wiederum die Hintermänner…«
Phils Lächeln wurde zum Grinsen. Ich sah es, brach mitten im Satz ab und gab zu:
»Okay, du hast gewonnen. Meine Logik hat ein Loch.«
Und dennoch kreisten meine Gedanken ununterbrochen um jenen Mord in der Sullivan Street, obwohl er im Grunde genommen mich nichts anging, denn die Untersuchung führte die Mordkommission der City-Polizei.
Mein alter Freund Jesse Cown sitzt seit dreißig Jahren in der Kriminalredaktion der »Night Papers«, einer Zeitung, die ihre Leser mit Sensationsgeschichten aus New Yorks Nachtleben füttert.
Als ich gegen Mittag sein Büro betrat, hielt er in einer Hand ein Hühnerbein, in der anderen das Mikrophon des Diktiergerätes. Er riß mit den Zähnen einen Fetzen Fleisch von dem Bein ab,, und während er ihn herunterschlang, sprach er höchst undeutlich in das Mikrophon:
»… und der Teppich, auf dein sie lag, war blutgetränkt. Kein Schlachthaus könnte…«
»Hallo, Jesse«, rief ich. »Wie kannst du essen, während du solche Sache diktierst?«
Er stoppte das Aufnahmegerät, sah das Hühnerbein, dann das Mikrophon an, dann wieder das Hühnerbein und meinte: »Du hast recht. Die Mädchen, die das Diktat schreiben müssen, beklagen sich dauernd über meine undeutliche Aussprache.«
Cown war ein kleiner, dicklicher Mann mit einer großen Glatze und einer riesigen Hornbrille, die er entweder auf der Stirn trug, oder an deren Bügeln er herumkaute. Auf der Nase trug er sie praktisch nie.
»Was kann ich für dich tun, Polizist?« fragte er und ließ das abgenagte Hühnerbein in den Papierkorb fallen.
»Jesse, welche Coups sind in den letzten vierzehn Tagen in New York oder auch in New Jersey gelandet worden, bei denen ein Beteiligter rund dreitausend Dollar Anteil erhalten konnte.«
Cown nahm seine Brille von der Stirn und kaute am Bügel.
»Sieben«, sagte er nach kurzem Nachdenken.
»Zähl sie auf!«
»1. Überfall auf einen Juwelierladen in der 19. Straße. Ein Toter, vierzigtausend Dollar Beute an Schmuck und Uhren. 2. Beraubung eines Bankboten. Drei Gangster. Fünfundzwanzigtausend Dollar in bar. 3. Einbruch in eine Großhandlung für Schmuck in der 3. Avenue. Beute
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