Der Nautilus-Plan
PROLOG
Februar 1998
Fredericksburg, Virginia
Als die State Department-Limousine durch den winterlichen Wald rauschte, drückte Außenminister Grey Mellencamp auf den Knopf zum Heben der schalldichten Glasscheibe, die ihn von seinem Chauffeur abschottete. Er blickte hinaus auf die kahlen Bäume und Sträucher, kalt und schwarz im Dämmerlicht. Sie bildeten auf beiden Seiten der von schmutzigen Schneehaufen gesäumten Straße eine dunkle Mauer, fast einen Tunnel, so dicht standen sie aneinander gedrängt. Nichts rührte sich draußen im Dunkel des Waldes, kein Zeichen von Leben.
Beklommen ließ sich Mellencamp in den Sitz zurücksinken. Er kam gerade von seinem Treffen mit Liz Sansborough, bei dem es ihm nicht gelungen war, die Informationen zu erhalten, die er benötigte. Er war wütend und enttäuscht, aber genau besehen auch erleichtert, weil sie eigentlich hatte geopfert werden sollen. Früher oder später wurde immer jemand geopfert. Am Ende wahrscheinlich sogar viele. Er hoffte, jeder von ihnen wäre schuldig, damit ihre Eliminierung gerechtfertigt wäre. Ihm gefiel das ganz und gar nicht, und das umso weniger, als er Liz Sansborough inzwischen für unschuldig hielt.
Er starrte weiter aus dem Fenster, atmete den Geruch der teuren Lederpolster ein und versuchte, sich zu entspannen. Er hatte schon tausende erfolgreicher Abschlüsse getätigt, zuerst für seine große Anwaltskanzlei, jetzt als Außenminister, und er wusste, wann er die Lage unter Kontrolle hatte.
Er zog sein Handy aus der Innentasche seines Mantels und rief in Brüssel an.
Sofort meldete sich eine Stimme mit englischem Akzent: »Hier Kronos.«
Mellencamps Ton war bestimmt. »Ich komme gerade von dem Gespräch mit Sansborough aus dem konspirativen Haus. Sie behauptet, nichts von irgendwelchen Aufzeichnungen zu wissen und dass so etwas auch absolut untypisch für ihren Vater wäre. Von dieser Darstellung wich sie kein einziges Mal ab.«
»Das kann nicht sein! Er muss sich irgendwelche Aufzeichnungen gemacht haben.« Kronos’ Stimme wurde lauter, der englische Akzent messerscharf. »Er muss irgendwo festgehalten haben, was er für wen getan hat. Seine Kontakte, Herrgott noch mal. Wer unbedenklich war, wer nicht. Was funktionierte, was nicht. Adressen. Telefonnummern. Decknamen. Niemand kann sich, speziell in einem Geschäft wie diesem, so lange halten, ohne sich Aufzeichnungen zu machen. Sie lügt garantiert!«
Der Außenminister verkniff sich eine gereizte Erwiderung. »Sansborough sagt, der Carnivore hatte ein fotografisches Gedächtnis. Das heißt, er hatte es nicht nötig, sich Einzelheiten aufzuschreiben. Er hat ihr erzählt, er hätte nach Erledigung eines Auftrags immer alles Schriftliche vernichtet – Pläne, Karten, Zeitpläne, Dinge in der Art. Sansboroughs Mutter hat uns bei ihrer Vernehmung das Gleiche gesagt, und jeder weiß, der Hauptgrund, weshalb er sich in diesem Geschäft so lange hielt, war seine extreme Vorsicht.«
Der Engländer hörte sich nicht sehr überzeugt an. »Nach allem, was passiert ist, müssen solche Aufzeichnungen existieren. Und Sansborough muss wissen, wo sie sind. Sie ist die Einzige, die dafür in Frage kommt, jetzt, wo ihre Mutter nicht mehr lebt.«
»Ja, es gibt offensichtlich irgendwelche Aufzeichnungen, aber ihre Eltern ließen sie über ihre Aktivitäten im Dunkeln. Hätte sie ihren Vater damals in Lissabon nicht bei der Durchführung eines Auftrags ertappt, hätte sie vermutlich nie etwas vom Doppelleben ihrer Eltern erfahren – und wir wahrscheinlich auch nicht. Ihre Ahnungslosigkeit war ihr bester Schutz. Aus welchem Grund hätten sie ihr also etwas von irgendwelchen Aufzeichnungen erzählen sollen? Außerdem stiegen sie aus, als sie nach England kam, um bei ihnen zu leben. Sie bekam nie mit, wie sie einen Anschlag planten. Alles in allem gibt es also keinen einleuchtenden Grund, weshalb sie irgendwelche Aufzeichnungen zu sehen bekommen haben sollte.« Er hielt inne und straffte seine massigen Schultern. »Wir werden sie finden, aber nicht mit ihrer Hilfe.«
»Sie hat Ihnen was vorgemacht, Helios. Dazu ist sie durchaus in der Lage. Sie gehört zu den besten Leuten der CIA.«
Mellencamp wurde erneut wütend. »Glauben Sie, ich würde nicht alle mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, wenn ich nur den leisesten Verdacht hätte, dass sie uns etwas verschweigt? Immerhin geht es hier um meinen Kopf. Für mich steht erheblich mehr auf dem Spiel als für Sie. Sie werden nicht wegen etwas
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