0305 - Der Tod schminkt sich die Lippen
das sichere Gefühl, daß mein Freund nicht von der Konkurrenz, sondern von seinen eigenen Leuten weggeputzt wurde. Also müßte in der Gang, in der er arbeitete, ein Platz frei geworden sein, und wenn ich den Mann finde, der es ihm besorgte, dann habe ich auch den Mann gefunden, der die frei gewordene Stelle neu zu besetzen hat.«
»Eine merkwürdige Art von Stellungssuche«, sagte sie, aber ihr Blick war irgendwie nachdenklich geworden.
»Also — können Sie mir einen Tip geben.«
»Nein, ich habe nichts bemerkt. Außerdem sind Sie mir sofort gefolgt. Sie müßten also genausoviel gesehen haben wie ich.«
Ich rieb mir den Schädel. »Verdammt, ich habe aber nichts gesehen. Wahrscheinlich hatte ich nur Sie im Auge.«
Das war ein Kompliment von der Holzhammersorte, aber sie nahm es hin wie ein Brillantarmband.
»Nett von Ihnen, das zu sagen, aber jetzt wechseln Sie wirklich besser den Tisch. Ich bekomme Ärger, wenn Sie hier sitzen bleiben.« Da ich keine Anstalten traf, aufzustehen, setzte sie hin--zu: »Sie können mich morgen oder übermorgen einmal anrufen. Merken Sie sich meine Nummer LE 5-40 02. Verlangen Sie Jane Larrow!«
Ich pfiff leise durch die Zähne.
»Welch ein überraschender Sinneswechsel!«
»Anders werde ich Sie doch nicht los, scheint mir! Aber gehen Sie jetzt endlich.«
»Sind Nummer und Name wenigstens echt, Miß Larrow?«
Sie antwortete nicht, sondern blickte über meine Schulter hinweg zur Theke.
»Wenn Sie sich nicht sehr rasch auf die Strümpfe machen, Mister«, sagte sie, »dann werden Sie Ärger bekommen, Ihr Freund aus der Hester Street sammelt Verstärkung, um sich seinen Hut von Ihnen bezahlen zu lassen.«
Ich drehte mich um. Der Kerl mit dem Ohrfeigengesicht hatte seinen Standort gewechselt und redete auf zwei Burschen ein, die ebenfalls in meine Richtung blickten. Ein vierter Mann trat zu der Gruppe.
»Jetzt kann ich erst recht nicht gehen«, erklärte ich. »Wenn ich verschwinde, werden die Burschen sich an Ihnen schadlos halten.«
»Unsinn! Ich werde abgeholt, und ich bin sicher, daß sich diese Halbstarken an den Mann, der mich abholt, nicht herantrauen. Verschwinden Sie endlich. Wenn Sie bleiben, verderben Sie alles!«
Sie sagte das ‘so dringend, daß ich aufstand.
»Okay! Stimmen Name und Nummer?«
»Sie erreichen mich darunter«, sagte sie hastig.
»Ich werde mich morgen melden.«
Meinen Drink hatte ich sofort bezahlt, wie es bei Ben üblich war. Ich schob mich auf den Ausgang zu, aber das Ohrfeigengesicht und seine Helfer hatten inzwischen einen Angriffspakt ausgehandelt. Ich sah, wie sie Luft in ihre Lungen pumpten.
Der dicke Ben hatte gemerkt, daß der Einrichtung seines Ladens Gefahr drohte.
»Hier gibt’s keine Schlägerei!« schrie er und kam wie ein wandelnder Berg hinter seiner Theke hervor. »Hier ist kein Boxring. Wenn ihr etwas miteinander auszumachen habt, erledigt es gefälligst draußen.« Er schob seine Riesengestalt drohend auf uns zu.
In diesem Augenblick öffnete sich die Eingangstür. Ein Mann in einem dunklen Mantel und mit einem dunklen Hut auf dem Kopf kam herein. Er überflog den Inhalt von Bens Kaschemme mit einem raschen' Blick. Dann ging er, ohne sich um die vier Jungs, Ben oder mich zu kümmern, an uns vorbei auf den Tisch zu, an dem die Frau saß. Für wenige Sekunden sah ich sein Gesicht: eine magere Geiervisage mit scharfer, gebogener Nase, tief in den Höhlen liegenden dunklen Augen und einem Schnurrbartstrich auf der dünnen Oberlippe.
Ben hinderte mich daran, mich weiter für den Mann zu interessieren.
»’raus! ’raus!« brüllte er. »Ich setze euch eigenhändig an die Luft.«
Meine Gegner nahmen ihre Chance war. Sie schoben sich aus der Tür, um auf der Straße auf mich zu warten.
»Mann, Ben, sie zerpflücken mich, wenn ich hinausgehe«, sagte ich kläglich, aber ich sagte es nicht aus Angst, sondern um Zeit zu gewinnen. Ich wollte den Mann und die Frau beobachten. Ich konnte nur seinen Rücken sehen. Er stand vor dem Tisch und sprach auf die rothaarige Lady ein.
Ben kannte kein Erbarmen.
»Geht mich nichts an!« grollte er. »Scher dich ’raus!«
»Gibt es nicht wenigstens einen Hinterausgang?« bettelte ich jammervoll.
Er schüttelte seinen Stierschädel.
»Nichts da! Haben wir nicht! Mit dir habe ich nur Ärger! Dich will ich hier nicht mehr sehen.«
Drüben am Tisch war die Frau aufgestanden. Der Mann war zur Seite getreten. Er lächelte. Er besaß ein schneeweißes Gebiß, mit dem er für jede
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