0325 - Die Loge der Henker
Kommode, ein Schrank und ein Tisch mit zwei Stühlen – das war alles. Und an der Wand ein Kruzifix und zwei Heiligenbilder. Nicht eben viel für einen jungen Mann von knapp zwanzig Jahren. Aber hier in Stradas war das genügend. Andere Jungen in seinem Alter hatten weniger.
Die schliefen in der Kammer neben dem Vieh.
Immer wieder nahm sich Pedro Sanchez vor von hier fortzugehen.
Nach Vitoria oder nach Burgos. Vielleicht sogar nach Madrid. In seinen geheimen Träumen wünschte er, einer der gefeierten Toreros zu werden, die dort in den großen Städten viel Geld verdienten. Aber er konnte es nicht über sich bringen, seine Eltern zu verlassen, und verschob den Abschied von Estradas immer wieder. Dieses kleine Dorf war seine Heimat. Die kleinen, etwas verkommen wirkenden Häuser, die sich fast an die Abhänge der Pyrenäenfelsen schmiegten und hinter denen nur noch schmale Ziegenpfade weiter führten, im ganzen Dorf gab es höchstens fünf Automobile und einige total überholte landwirtschaftliche Maschinen. Fremde verirrten sich selten hierher.
Rodrigo Munilla hatte zwei Gästezimmer, die er für ein paar Pesos pro Nacht vermietete. Aber die wurden selten genutzt. Und auch in der Catina traf man immer die gleichen Leute.
Pedro Sanchez lauschte in die Nacht. Alles schlief. Jetzt würde es niemand bemerken, wenn er sich fortstahl. Alles, was er für das Ritual benötigte, hatte er schon am Tage zu dem Kreuzweg geschafft, der für sein Unternehmen bestens geeignet schien. Auch die tote Katze war schon dort.
Geräuschlos kletterte Pedro aus dem Fenster und hangelte sich an der Dachrinne hinab. Seine Turnschuhe gaben auf dem felsigen Untergrund der Dorfstraße keinen Laut. Geduckt und jeden Schatten eines Hauses ausnutzend schlich sich Pedro aus dem Dorf. Erst, als Estradas hinter ihm in der Dunkelheit versank, atmete er freier.
Jetzt würde niemand ihn mehr aufhalten und sein Tun vereiteln.
Pedro Sanchez wollte wissen, ob ihm der Wolfsgeist erschien. Vielleicht tat sich gar nichts und er schlug sich die Nacht umsonst um die Ohren. Aber wenn es diesen Wolfsgeist tatsächlich gab – dann konnte ihm dieser sicher helfen, ein reicher Mann zu werden.
Pedro hatte in den letzten Abenden in der Cantina beim roten Wein oft genug das Gespräch auf Werwölfe gebracht. Besonders die Hirten, die in der Nähe von Estradas ihre Schafe weideten und die für eine halbe Stunde am Abend die Herde in der Obhut der Hunde ließen, konnten manche Geschichte berichten. Aber selbst gesehen hatte niemand einen Werwolf in seinem Leben. Nur murrten die Hirten, daß gerade in diesem Jahr sich die Wolfsrudel stark vermehrt hätten und schimpften auf die Regierung, warum das Wolfspack nicht einfach abgeschossen würde. Sie selbst waren zwar mit Flinten bewaffnet, doch waren die Waffen veraltet, und es war mehr ein Zufallstreffer, wenn man in der Nacht einen der scheuen Wölfe mit der Kugel erwischte.
Diese Erzählungen faszinierten Pedro Sanchez mehr, als er sich selbst zugeben wollte. In ihm glomm etwas auf, das er noch nie verspürt hatte. Der innere Drang, im Dunkel der Nacht auf Beute zu gehen, zu jagen, sich anzuschleichen, zu überlisten… und zu töten.
Wenn die Hirten erzählten, wie sich die Wölfe heimlich an die Schafe heranschlichen; immer den Wind gegen sich, daß sie die Hirtenhunde nicht bemerkten; sich mit einem Sprung auf ein Lamm warfen und es forttrugen – dann sah Pedro Sanchez es mit seinen geistigen Augen so, als ob er selbst dieser Wolf wäre, der sich hier die Nahrung holte, die er benötigte.
Er trug die Veranlagung zum Menschenwolf in sich, ohne daß er es sich selbst eingestehen wollte. Das Buch, das er aus der Bibliothek des toten Carlos Mondega genommen hatte, trug diese Gefühle nur an die Oberfläche. War es sein Schicksal oder hatte der Teufel selbst die Hand im Spiel, daß er ausgerechnet dieses Buch nahm? Niemand wird jemals ergründen, wann und wo das Schicksal einem Menschen die Wege weist – und erst beim Tode stellt man fest, ob diese Wege gut waren oder ob ihn das Böse führte.
Wie der Weg, den Pedro Sanchez jetzt betrat…
***
Escamillo Faria war zufrieden. Es war ihm wieder mal gelungen, eine ganze Menge Dinge von Frankreich über die Grenze nach Spanien zu schmuggeln, für die man gerade in dieser Gegend jede Menge Bedarf hatte. Meist waren es Zigaretten und teurer Cognac – das brachte den meisten Gewinn.
Eigentlich war Escamillo Bergführer und seine zwölf Maultiere trugen sonst
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