0337 - Der »Sanfte« kennt jeden Trick
musste die Welt jenseits der Scheinwerfer in Schwärze liegen. Das grelle Licht musste sie blenden und leuchtete für uns jeden Zug ihrer Gesichter aus.
Sie trugen keine Masken mehr. Der größere Mann ähnelte in der Gestalt und auch im Gesicht Harvey Frost. Vielleicht war er etwas hagerer, waren seine Züge noch härter, und auf der Oberlippe trug er einen dichten graublonden Schnurrbart.
Er hielt die Maschinenpistole im Anschlag. Er warf den Kopf nach rechts und links und diese Bewegung erinnerte an ein gefangenes Tier.
Der andere Mann war untersetzt, breitschultrig und schwarzhaarig. Er musste jünger sein als John Frost. Seine kurzen, breiten Hände umklammerten eine MP, aber er hielt die Waffe gesenkt, und der erloschene Ausdruck seines Gesichts bewies, dass er aufgegeben hatte.
Der Fahrstuhl stand.
Ich legte die Hand an den Mund und rief: »Werft die Waffen weg und kommt einzeln ’raus! Jeder Widerstand ist zwecklos.«
John Frost stieß mit einem Fußtritt die Tür auf.
»Mich fasst ihr nicht lebendig!«, schrie er.
In die Schüsse der MP, in diese sinnlos in die Gegend gefeuerten Schüsse, mischte sich der scharfe Knall eines Gewehrschusses.
Die Maschinenpistole entfiel dem Gangster. Er schrie auf, torkelte zurück. Seine rechte Hand färbte sich rot.
***
Unser Chef, Mister High, wies auf zwei Sessel. Wir setzten uns.
Ein Stoß Zeitungen lag auf seinem Schreibtisch, und die Überschriften lauteten: »FBI fasst den Sanften!«
»Das Ende des Schreckens von New York.«
»Drei Gangster, die New York beherrschen wollten, fanden den Tod.«
»Berichten Sie mir die Hintergründe, Jerry«, sagte High.
»Darf ich rauchen, Chef?«
»Selbstverständlich.«
Phil und ich zündeten uns Zigaretten an.
»Die Brüder Harvey und John Frost begingen ihre Verbrechen, bevor sie in New York auftauchten, nie gemeinsam, und in einem bestimmten Sinne nahm Harvey Frost an den früheren Verbrechen seines Bruders nicht teil, das heißt, er beteiligte sich nie aktiv. Aber er hat sich auch damals in Frisco nicht gescheut, seinem Bruder Helfers- und Hehlerdienste zu leisten, und wahrscheinlich hat er daran gut verdient. Er half ihm auch, als es John Frost geraten schien, rechtzeitig zu sterben, bevor er auf den Elektrischen Stuhl kam.«
Keine Zigarette schmeckt so gut wie die, die man nach getaner Arbeit raucht. Ich zog mit Genuss und berichtete weiter: »John Frost suchte sich einen Mann, der ihm relativ ähnlich sah. Er überredete ihn, sich an einem Raubüberfall zu beteiligen, zu dem beide Polizistenuniformen anzogen. Während des Überfalls trat aber nur John in Aktion. Er übergab den Geldtransporter an Harry Syth und fuhr mit dem Wagen weg, den Syth beschafft hatte. Dann traf er irgendwo den Mann, der ihm ähnlich sah, und schickte ihn mit dem Auto in Richtung der mexikanischen Grenze, wo er mit Sicherheit auf Polizei treffen musste. Wahrscheinlich hat er vorher auch den Wagen so zugerichtet, dass sein Kumpan früher oder später die Gewalt darüber verlieren musste. Der Plan gelang. Als der andere verunglückt war, trat Harvey Frost als ehrenwerter Bürger, der vom Schicksal mit einem verbrecherischen Bruder geschlagen war, in Erscheinung und identifizierte den Toten als seinen Bruder John Frost.«
»Dieses Kapitel der Geschichte spielte also in San Francisco«, stellte Mr. High fest.
»Genau. Harvey Frost verlegte sein Tätigkeitsfeld nach New York. Aber zwei Jahre lang verhielten die Brüder sich ruhig. Sie studierten die Verhältnisse und bereiteten ihren Eroberungszug vor. Sie wollten nicht mehr einzelne Überfälle verüben, sondern sie suchten Einnahmequellen, die ihre Taschen laufend füllen würden. Sie beschlossen, sich an die Spitze der drei großen New Yorker Gangs zu setzen.«
»Deine erste Vermutung war also doch nicht falsch«, meinte Phil.
»Sie war kaum halb richtig«, antwortete ich. »Die Frost-Brüder arbeiteten nun auf eigene Faust. Sie hatten nur einen Helfer, jenen Juan Gomez, den John Frost irgendwann aus Mexiko mitgebracht hatte und den wir mit ihnen zusammenfassten.«
Ich drückte die Zigarette aus.
»Harvey Frost war entschlossen, genau wie in Kalifornien, unter allen Umständen das Gesicht zu wahren. Er gründete eine Firma, und er wählte die Räume so, dass sie ihm jederzeit ein Alibi liefern konnten. John Frost pachtete unter dem Namen Larfield die Kellergarage des Bürohauses. Unter dem Vorwand gewisser Umbauten ließen sie zwischen dem Chefbüro und dem Büro der
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