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Das Haus der Donna: Roman (German Edition)

Das Haus der Donna: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der Donna: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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    Der scharfe, feuchte Wind drang ihr bis ins Mark. Auf beiden Seiten der Straße türmte sich der Schnee, den der Sturm zu Beginn der Woche dorthin geweht hatte. Der Himmel war schmutzigblau. Kahle Bäume mit nackten, schwarzen Ästen reckten sich aus dem winterbraunen Gras.
    Das war Maine im März.
    Miranda stellte die Heizung höher und programmierte ihren CD-Player auf Puccinis La Bohème. Die Musik dröhnte aus den Lautsprechern.
    Sie fuhr nach Hause. Nach einer zehntägigen Vortragsreise, in der sie von einem Ort zum anderen, vom Hotel zum College-Campus, zum Flughafen und ins nächste Hotel gejagt war, sehnte sie sich jetzt danach, endlich wieder nach Hause zu kommen.
    Möglicherweise hatte ihre Erleichterung etwas damit zu tun, daß sie Vorträge haßte, daß sie jedesmal, wenn sie vor den Reihen aufmerksamer Gesichter stand, furchtbar litt. Aber Schüchternheit und Lampenfieber durften der Pflicht nicht im Wege stehen.
    Schließlich war sie Dr. Miranda Jones, eine Jones aus Jones Point. Und das durfte sie nie vergessen.
    Die Stadt war vom ersten Charles Jones gegründet worden, der damit sein beanspruchtes Gebiet in der Neuen Welt absteckte. Miranda wußte, daß die Jones ihre Herrschaftsbereiche deutlich machen, daß sie ihre Position als führende Familie des Point erhalten mußten, um würdige Mitglieder der Gesellschaft zu sein, um sich so zu verhalten, wie es von den Jones aus Jones Point in Maine erwartet wurde.
    Froh, sich endlich vom Flughafen zu entfernen, bog Miranda auf die Küstenstraße ab und trat das Gaspedal durch. Schnell zu fahren war eine ihrer kleinen Freuden. Sie bewegte sich gern schnell, liebte es, in kürzester Zeit und ohne großes Aufsehen von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Eine
Frau, die auf bloßen Füßen beinahe ein Meter achtzig groß war und deren Haare die Farbe eines Spielzeugfeuerwehrautos hatten, blieb allerdings selten unbemerkt. Selbst wenn sie bei einer Sache ganz unbeteiligt war, sah sie doch immer so aus, als trüge sie die Verantwortung.
    Und wenn sie sich mit raschen Schritten und zielgerichtet von der Stelle bewegte, wichen ihr meistens alle Leute aus.
    Ihre Stimme hatte ein Mann, der sie verehrte, einmal mit in Samt eingehülltem Sandpapier verglichen. Miranda kompensierte diese Laune der Natur, wie sie sie nannte, durch eine knappe, kühle Sprechweise, die an Schroffheit grenzte.
    Aber sie erreichte damit, was sie wollte.
    Ihr Körper hätte von einem keltischen Krieger abstammen können, ihr Gesicht jedoch war typisch für New England. Schmal und kühl, mit einer langen, geraden Nase, leicht vorstehendem Kinn und ausgeprägten Wangenknochen. Ihr Mund war voll und groß, allerdings preßte sie die Lippen meistens ernst zusammen. Ihre Augen waren leuchtend blau, blickten jedoch in der Regel ziemlich nüchtern.
    Doch während sie jetzt die lange, gewundene Straße, die sich um die schneebedeckten Klippen herumschlängelte, entlangfuhr, gelangte ihr Lächeln bis zu den Augen. Das Meer hinter den Klippen war aufgewühlt und stahlgrau. Sie liebte seine Stimmungen, seine Macht, zu beruhigen oder zu erregen. Dort, wo die Straße sich wie ein Finger krümmte, konnte Miranda das donnernde Krachen der Wellen hören. Sie schlugen gegen die Felsen und zogen sich dann zurück, um wie eine Faust erneut zuzuschlagen.
    Die blassen Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Schnee, den der Wind durch die Luft und über die Straße wirbelte. Als Miranda noch ein Kind gewesen war und voller Phantasien steckte, hatte sie sich immer vorgestellt, wie sich die Bäume vor dem Wind zusammenkuschelten und einander ihre Klagen zuraunten.
    Phantasien hatte sie schon lange nicht mehr, aber den Anblick der knorrigen, verwachsenen Bäume, die wie alte Soldaten in Gruppen zusammenstanden, liebte sie immer noch.
    Die Straße stieg nun an, während das Land immer schmaler
und jetzt von beiden Seiten von Wasser umspült wurde. Mit beständigem Hunger nagte das Meer am Festland. Der höchste Punkt der Küste ragte wie ein Buckel hervor, und auf seiner Spitze lag das alte viktorianische Haus, von dem aus man eine herrliche Aussicht über Land und Meer hatte. Darunter war die weiße Kuppel des Leuchtturms zu sehen, der die Küste bewachte.
    Das Haus war ihr als Kind Zuflucht und Freude gewesen – und das nur wegen der Frau, die darin wohnte. Amelia Jones hatte auf die Traditionen der Jones gepfiffen und so gelebt, wie sie es für richtig hielt. Sie hatte stets gesagt, was sie dachte, und immer, immer

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