0346 - Der Kobra-Dämon
der jede seiner Chancen nutzt. Und genau das hat er jetzt auch getan. Er fühlte sich wahrscheinlich angegriffen, und er weiß verdammt gut, daß er seine Unverwundbarkeit verloren hat durch das seltsame Zeitparadoxon.«
Sie trat unruhig hin und her. Auch Zamorra merkte, daß sie im Begriff standen, im Boden zu versinken. Alles zerpulverte, wurde zu Staub. Auch der Himmel verdüsterte sich zusehends. Über dem Tempel schien keine helle Sonne mehr, und die weißen Mauern wurden grau und dunkel, glichen bereits fast dem entfernten Burggemäuer. Ein teuflisches Knistern und Knacken ging durch die Steine und zeugte ebenfalls vom beginnenden Untergang.
Ssacah hatte leider nicht gelogen…
»Außerdem«, fuhr Nicole fort, »war das hier kein Weltentor, das er benutzt hat. Er ist einem Dämon gleich zur Hölle gefahren. Nur dorthin hätte er uns also mitnehmen können, aber an einem abermaligen Aufenthalt in den Schwefelklüften bin ich herzlich wenig interessiert.« Damit erinnerte sie Zamorra daran, daß sie schon einmal von dem Dämon Belial in Höllentiefen entführt worden war, weil Belial sie als Geisel benutzen wollte in der kurzen Zeit, die er Fürst der Finsternis war.
»Wir sind schon des öfteren aus der Hölle wieder zurückgekehrt«, sagte Zamorra schulterzuckend. »Wir hätten es auch diesmal geschafft. Jetzt aber sind wir auf jeden Fall verloren. Diese Welt zerfällt mehr und mehr, und schließlich werden auch wir zerfallen. Ith glaube nicht, daß ich es mit dem Dhyarrakristall hinkriege, einen Teil davon so zu stabilisieren, daß wir eine reelle Chance haben, nicht aufgelöst zu werden. - Und auch wenn das geht: es gibt kein Weltentor! Wir sind für alle Zeiten hier gefangen.«
»Reizende Aussichten«, kommentierte Nicole trocken. »Ich wollte schon immer mal Königin einer ganzen Welt werden. Für dich hat es allerdings auch Vorteile: ich kann dir nicht mehr damit auf die Nerven fallen, eine Boutique heimsuchen zu wollen… was ist eigentlich aus meinem Lederoverall geworden? Die Kobramenschen haben ihn mir vom Körper gefetzt…«
»Gefetzt. Von den Sachen kannst du nichts mehr gebrauchen«, sagte Zamorra. Er sah zum Tempel hinüber. Eine Wand begann sich aufzulösen. Staubfahnen wehten davon.
»Laß uns die anderen irgendwie wecken«, schlug Nicole vor. »Vielleicht bekommen Gryf und Teri ihre Parafähigkeiten zurück. Vielleicht finden wir irgend eine Möglichkeit, ein künstliches Weltentor zu erschaffen…«
»Das dauert Stunden«, gab Zamorra zu bedenken. »Aber so viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Ich schätze, daß wir höchstens noch 20 Minuten haben, dann ist alles vorbei. Der Zerfall schreitet rasend fort.«
Hinter ihnen sank das Burggemäuer in sich zusammen. Der Himmel verdunkelte sich weiter.
Als sie die Gefährten erreichten, die schon fußtief in den zerpulvernden Boden eingesunken waren, erwachte gerade Rob Tendyke als erster. Nicole bemühte sich, Teri aus der Bewußtlosigkeit zurückzuholen.
Irgendwo knisterte wieder etwas, gar nicht weit entfernt. Im ersten Moment glaubte Zamorra an zusammenbrechende Bäume, aber ein Instinkt warnte ihn. Er drehte sich langsam um.
Seine Augen weiteten sich, als er das Unglaubliche sah. »Nein…«, stieß er hervor. »Nein… das ist doch unmöglich… nicht das…«
Aber es war keine Täuschung.
Schlug die Hölle jetzt noch einmal zu? Wollte der Tod ihnen nicht einmal mehr die letzte Viertelstunde lassen?
Nahm das Grauen überhaupt kein Ende mehr?
Zamorra war nicht mehr in der Lage, sich gegen das zu wehren, was kam. Fassungslos stand er da, den Dhyarrakristall noch in der Hand. Aber es war sinnlos, ihn gegen das einzusetzen, was blitzartig in die sterbende Welt vorgestoßen war…
So furchtbar sinnlos…
ENDE des Zweiteilers
[1] Siehe Professor Zamorra Nr. 338 »Grauen in der Geisterstadt«
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