0374 - Der Vogeldämon
Als die Finsternis am tiefsten war, flammte ein Blitz aus den Wolken. Zielsicher traf er die hölzerne Figur, hüllte sie für Sekunden in blauweißes Feuer. Aber der hölzerne Vogel verbrannte nicht. Nur seine Augen glommen grell auf.
Das gleiche grelle Leuchten erschien in den Augen des Zauberers, der sich zu verändern begann. Auf seinem Körper, der sich vorbeugte und dessen Beine kürzer und dürrer wurden, bildete sich ein dichtes Federkleid. Der Kopf formte sich um. Ein langer Schnabel entstand. Dann schwang der Vogelmensch sich mit kräftigem Schwingenschlag in die Höhe. Ein klagender Schrei kam aus der Dunkelheit des Nachthimmels, dann war der riesige Vogel fort.
Zurück blieben die Tänzer, die in der Bewegung erstarrt waren. Ihre Augen waren stumpf und glanzlos. Alles Leben schien aus ihnen gewichen zu sein.
***
Linda Cray schreckte empor. Im ersten Moment wußte sie nicht, wo sie sich befand. Dann konnte sie sich orientieren. Sie befand sich in ihrem Hotelzimmer im »Royal Palace« in Musoma, der Stadt am zu Tansania gehörenden Ufer des Victoria-Sees in Ostafrika. Sie hatte sich vor vielleicht einer halben Stunde hingelegt, wie ein Blick auf die Uhr ihr verriet. Sie war müde gewesen von den Anstrengungen des Tages, und sie hatte sich dem abendlichen Trubel entzogen.
Irgend etwas hatte sie geweckt.
Die 24jährige Fotografin erhob sich und trat zum Fenster. Sie hatte die Vorhänge und Klappläden nicht geschlossen. Sie wollte das Mondlicht sehen, falls sie zwischendurch aufwachte.
Aber da war kein Mondlicht. Da waren nur finstere Wolken, und weit entfernt Wetterleuchten im Südosten. Das überraschte sie. Sie sah nur das Licht, hörte aber kein Donnergrollen. Außerdem — ein Gewitter hier, um diese Jahreszeit… Sie fühlte sich immer noch müde und begriff nicht, wieso sie aufgewacht war. Sie schaffte es doch kaum, die Augen offenzuhalten!
Sie sah einen großen schwarzen Vogel am Nachthimmel, der sich dem Hotel näherte. Er mußte riesig sein, größer noch als ein Albatros! Linda Cray öffnete das Fenster, kletterte auf die Fensterbank und breitete die Arme aus. Sie ließ sich nach vorn fallen und flog.
***
Die Jazzband spielte längst nicht mehr. Kein Wunder - Mitternacht war vorbei. Nur die Instrumente standen noch am Rand der Hotelterrasse auf dem kleinen Podium. Und der Keeper an der Freiluftbar mixte für die unentwegten unter den Gästen noch seine Spezialgetränke.
Es war noch relativ warm. Vivy Ruyters, Cal Garey und ein Mädchen, von dem Pascal und Nadine Lafitte nur den Vornamen kannten, tummelten sich noch im riesigen Swimmingpool. Hinter etlichen Fenstern der Hotelfassade brannte Licht, aber nacheinander erloschen die Lichter in den Zimmern. Nur wenige blieben noch an. Das große Sonnendach aus Segeltuch, das einen Teil der Terrasse und die Bar beschattete, war noch nicht zurückgekurbelt worden. Es lohnte sich wohl auch nicht, es einzurollen. In ein paar Stunden wurde es wieder hell, und dann dauerte es nicht lange, bis die Sonne wieder grell und heiß brannte.
Nadine Lafitte, wie Pascal in Shorts und T-Shirt, nippte am Campari. Sie genossen die Ruhe, die allmählich einkehrte. Es war ein anstrengender Tag gewesen; zwei Tage, um genau zu sein. Foto-Safari durch die Serengeti! Der nächste Tag war frei; sie konnten sich ausruhen oder eigene Wege gehen. Erst übermorgen setzte das Touristik-Programm wieder voll ein mit einer Dampferfahrt über den Victoria-See. Danach war die Besichtigung eines Eingeborenendorfes angesetzt…
Nadine und Pascal waren auf Hochzeitsreise. Vor gerade einer Woche hatten sie geheiratet. Ohne große Feier, an der das ganze Dorf teilgenommen hätte. Das Geld, das die Feier gekostet hätte, konnten sie für andere Dinge besser verwenden. Zum Beispiel für ihre Afrika-Reise.
So hatten sie nur im allerengsten Familienkreis ein wenig gefeiert. Allenfalls Professor Zamorra und seine Gefährtin Nicole Duval hätten sie gern dabei gehabt; immerhin waren sie eigentlich erst durch die beiden zusammengekommen, damals, als sie von den Schlangen des Ssacah-Kultes bedroht wurden, [1]
Aber Zamorra und Nicole waren zu diesem Zeitpunkt in Marokko und Italien gewesen und kehrten erst nach Frankreich zurück, als Nadine und Pascal ihre Afrika-Reise antraten.
Nadine lächelte versonnen. Sie bemerkte Pascals fragenden Blick. »Ich frage mich gerade, wer jetzt wohl die einschlägigen Zeitungsartikel für Professor Zamorra sucht, findet und übersetzt.«
»Unser
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