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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einer Stunde abgeschnitten!“ meinte Athabaska.
    „Und vor noch nicht einer Viertelstunde hierhergelegt“, stimmte Algongka bei, indem er die Spuren unserer Füße, die im Gras noch deutlich zu sehen waren, betrachtete. „So sind es also doch Bleichgesichter gewesen!“
    „Ja, diese hier! Sprechen wir mit ihnen?“
    „Wie mein roter Bruder will. Ich überlasse es ihm.“
    Die Häuptlinge hatten ganz richtig vermutet. Wir hatten die Blumen nicht von Niagara mitgebracht, sondern sie waren von hier, und zwar ganz frisch geschnitten. Das Herzle hatte zwei davon zurückbehalten, für sich eine und für mich eine. Die bisherigen, kurzen Sätze der beiden Indianer waren in Apatsche gesprochen worden. Jetzt legten sie die Blumen sehr zart und vorsichtig wieder dahin, wo sie gelegen hatten, und Athabaska wendete sich in englischer Sprache an uns:
    „Wir glauben, daß ihr die Spender dieser Blumen seid. Ist das richtig?“
    „Ja“, antwortete ich, indem ich mich höflich von meinem Sitz erhob.
    „Für wen sollen sie sein?“
    „Für Sago-wat-ha .“
    „Warum?“
    „Weil wir ihn lieben.“
    „Wen man liebt, den soll man kennen!“
    „Wir kennen ihn. Und wir verstehen ihn.“
    „Verstehen?“ fragte Algongka, indem er seine Augen ein ganz, ganz klein wenig verkleinerte, um seinen Zweifel anzudeuten. „Habt ihr seine Stimme gehört? Er ist längst tot. Es ist schon fast acht Jahrzehnte her, daß er starb.“
    „Er ist nicht tot. Er ist nicht gestorben. Wir hörten seine Stimme sehr oft, und wessen Ohren offen sind, der kann sie heute noch ebenso deutlich hören wie damals, als er zur ‚Gemeinschaft der Wölfe‘ seines Stammes sprach. Sie hörten ihn leider nicht!“
    „Was hätten sie hören sollen?“
    „Nicht den oberflächlichen Klang seiner Worte, sondern ihren tiefen, vom großen Manitou gegebenen Sinn.“
    „Uff!“ rief Athabaska aus. „Welchen Sinn?“
    „Daß kein Mensch, kein Volk und keine Rasse Kind und Knabe bleiben darf. Daß jede Savanne, jeder Berg und jedes Tal, jedes Land und jeder Erdteil von Gott geschaffen wurde, um zivilisierte Menschen zu tragen, nicht aber solche, denen es unmöglich ist, über das Alter, in dem man sich nur immer schlägt und prügelt, hinauszukommen. Daß der allmächtige und allgütige Lenker der Welt einen jeden Einzelnen und einer jeden Nation sowohl Zeit, als auch Gelegenheit gibt, aus diesem Burschen- und Bubenalter herauszukommen. Und daß endlich ein jeder, der dennoch stehenbleibt und nicht vorwärts will, das Recht, noch weiter zu existieren, verliert. Der große Manitou ist gütig, aber er ist auch gerecht. Er wollte, daß auch der Indianer gütig sei, besonders gegen seine eigenen roten Brüder. Als aber die Indsmen nicht aufhören wollten, sich untereinander zu zerfleischen, sandte er ihnen das Bleichgesicht – – –“
    „Um uns noch schneller umbringen zu lassen!“ fiel mir Algongka in die Rede.
    Beide sahen mich in sichtlicher Spannung an, was ich auf diesen Vexierausruf antworten werde.
    „Nein, sondern um euch zu retten“, entgegnete ich. „Sago-wat-ha hat das begriffen, und er wünschte, daß sein Volk, seine Rasse es ebenso begreife; aber man wollte ihn nicht hören. Es wäre zu dieser Rettung sogar heute noch Zeit, wenn der Kind gebliebene Indianer sich aufraffte, Mann zu werden.“
    „Also Krieger?“ fragte Algongka.
    „O nein! Denn selbst bei der Rasse ist grad das Krieger- und Indianerspielen der sicherste Beweis, daß sie kindisch geblieben ist und von höherstrebenden Menschen ersetzt werden muß. Mann werden, heißt nicht Krieger werden, sondern Person werden. Das hat der große Häuptling der Seneca, an dessen Grab wir hier stehen, tausendmal gesagt. Laßt es nicht meine, sondern seine Stimme sein, die es euch jetzt abermals sagt. Tut ihr das, so ist er auch für euch nicht gestorben, sondern er lebt und wird in euch weiterleben!“
    Ich grüßte mit dem Hut, um mich zu entfernen. Da ergriff zu meiner Verwunderung auch das Herzle das Wort. Sie sagte:
    „Und nehmt diese beiden Blumen! Sie sind nicht von mir, sondern von ihm! Die Blumen der Einsicht, der Güte und der Liebe, die er einst zu seinem Volk sprach, sind nur äußerlich verwelkt, ihr Duft aber ist geblieben. Seht, wie der Sonnenstrahl sich langsam, leise nähert, um die Namen, die da in Stein gegraben sind, zu beleuchten und zu erwärmen! Und hört ihr das Flüstern der Blätter, aus denen der Schatten flieht? Auch dieses Grab ist nicht tot. Wir gehen.“
    Sie gab

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