04 - Winnetou IV
schritt mit ihr dieser Tür zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich folgte ihm mit Algongka, der sich ebenso schweigsam verhielt.
Die beiden Häuptlinge bewohnten, ganz ebenso wie wir, mehrere Räume. In dem größten von ihnen war serviert. Ich muß zu ihrem Lob sagen, daß keine Spur von dem Bestreben, zu prahlen oder uns zu imponieren, vorhanden war. Es gab nichts anderes, als nur dieselben Gerichte, die wir im Speisesaal vorgesetzt bekommen hätten. Vor unseren Gedecken stand Wein, vor den ihren aber Wasser. Das Herzle erklärte aufrichtig, daß wir daheim viel lieber Wasser als Wein beim Essen tränken; da bekam der Kellner einen Wink, die Flaschen zu entfernen. Aber jeder von ihnen hatte in einer kleinen, mit Wasser gefüllten Vase die ihm von meiner Frau geschenkte Blume vor sich stehen, wofür sowohl ihr, als auch mir je eine einzige, aber ausgesucht schöne Rose beschieden war. Hierüber wurde kein Wort verloren!
Gesprochen wurde nur in den Pausen, während des Essens nicht. Sie sagten kein Wort über sich und fragten mit keinem Wort nach uns und unseren Verhältnissen. Es gab nur einen einzigen Gegenstand, mit dem unsere Fragen und Antworten sich beschäftigten, nämlich die Vergangenheit und die Zukunft der Indianer, also das Schicksal der roten Rasse. Und da muß ich der Wahrheit die Ehre geben, indem ich gestehe, viel, sehr viel von diesen beiden Männern gelernt zu haben, trotz ihrer Einsilbigkeit und trotz der Kürze der Zeit, die wir bei ihnen verweilten. Denn aus ihrem Mund kam kein einziges Wort, welches nicht seinen besonderen Wert besaß. Oft hatte ein einziger Satz den Wert einer ganzen, vollen Lebenserfahrung. Diese beiden Häuptlinge glichen Giganten, welche große, vielzentnerschwere Gedanken aus den Felsenbergen brechen und hinab in die Ebene rollen lassen, damit die dortigen kleinen Menschen daran Arbeit für ihre feineren Werkzeuge finden. Es war ein sehr schöner, wenn auch sehr ernster Abend, der unser Denken, Fühlen, Wissen und Wollen bereicherte und gewiß, solange wir leben, uns im Gedächtnis bleiben wird.
Es war grad Mitternacht, als wir uns trennten. Wir hatten nicht etwa die ganze Zeit bis dahin im Zimmer gesessen, sondern uns einen Tisch mit Stühlen auf die Plattform stellen lassen. Da saßen wir nach dem Essen, um dem vor unserem Auge niederstürzenden Niagara einen seiner Gedanken nach dem anderen zu entringen. Erst im letzten Augenblick, als wir uns verabschieden wollten, erfuhren wir, daß Athabaska und Algongka schon morgen abreisen würden und uns also ihren letzten Abend geschenkt hatten. Daran war das Herzle mit ihren Blumen schuld!
Keiner von beiden ahnte, daß wir Deutsche seien, noch weniger aber, daß wir dasselbe Reiseziel hatten wie sie. Sie fragten nicht nach unserer Adresse; sie schwiegen darüber, ob sie ein Wiedersehen wünschten oder nicht. Aber als ich ihnen meine Hände reichte, wurden diese von ihnen länger festgehalten, als eigentlich gebräuchlich ist. Dann trat Athabaska so nahe an meine Frau heran, wie möglich war, ohne ihre Gestalt zu berühren, legte beide Hände an ihren Kopf, zog ihn noch näher an sich und drückte seine Lippen auf ihr Haar.
„Athabaska segnet Euch!“ sagte er.
Algongka folgte diesem Beispiel und sprach dabei dieselben Worte, die aus dem Herzen kamen. Das hörte man den beiden Männern an, und das ersah man auch aus der Schnelligkeit, mit der sie dann in ihrer Wohnung verschwanden.
Diese Wohnung lag so ziemlich in der Mitte der Zimmerreihe, die unsere aber, deren Tür wir offengelassen hatten, am Ende derselben. Wir mußten also, um nach der letzteren zu kommen, an dem neben uns liegenden Raum der Gebrüder Enters vorüber. Als wir uns diesem näherten, sahen wir, daß er erleuchtet war. Zwar stand die Tür nicht offen wie die unsere, aber die Klappen der Jalousie waren geöffnet, und es drang nicht nur das Licht heraus, sondern auch der laute Klang zweier Stimmen, die grad in diesem Augenblick sich in Erregung zu befinden schienen. Die Brüder waren schon heute zurückgekehrt. Sie schritten, sich zankend, in ihrer Stube auf und ab. Wir gingen selbstverständlich nicht vorüber, sondern wir blieben an ihrer Tür stehen und hörten, daß Hariman soeben sprach:
„– also wiederhole ich: Schrei nicht so! Wir wohnen bekanntlich nicht allein in diesem Hotel!“
„Der Teufel hole es, dieses Clifton-House! Kein Mensch hält uns für voll! Übrigens bezahlen wir dieses Zimmer, und ich kann also hier schreien, so laut es mir
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