04 - Winnetou IV
Höfe und ‚Gärten‘ hatten begonnen, sich mit Zuschauern zu füllen.
Mein Koffer war da. Das Herzle war selbst mit oben gewesen. Sie sagte mir, daß vier Zeugen an unseren Fenstern ständen, drei Polizisten und ein Herr, den man ihr als Corregidor bezeichnet habe.
„Das heißt so viel wie Bürgermeister. Die Leute mexikanischer Abstammung pflegen sich dieses spanischen Ausdrucks zu bedienen“, erklärte ich ihr.
„Er ist erst nachträglich gekommen. Er wurde nämlich von einem der Polizisten geholt, und zwar aus einem mir unbekannten Grund, welcher uns aber, wie er mir versicherte, außerordentlich interessieren wird. Er war sehr höflich. Brauchst du etwas aus dem Koffer?“
„Ja. Zunächst meinen Beratungsrock.“
Ich öffnete den Koffer und entnahm ihm das bezeichnete, aus weißem Leder gefertigte Kleidungsstück, dessen Nähte mit Skalplocken verziert sind.
„Uff!“ verwunderte sich der Indsman in halblautem Ton. „Das darf nur ein Häuptling tragen! Aber auch nur am Beratungsfeuer und bei Stammesfestlichkeiten!“
Ich zog meinen Rock aus und legte dafür dieses indianische Gewand an.
„Warum?“ fragte das Herzle. „Hörst du, wie deine Kontrahenten darüber lachen und spotten?“
„Laß sie es tun. Es kommt sogar noch der Häuptlingsschmuck dazu. Es ist der Pferde wegen. Sie haben indianische Dressur. Die lassen außer ihrem Herrn kein Bleichgesicht zu sich heran, und auch ich käme, ohne mich umzukleiden, gewiß nicht in den Sattel.“
„Ah! Darum die Bedingung, dich aus- und anziehen zu können, ganz wie es dir beliebt?“
„Ja. Du siehst, daß jedes Wort erwogen war, obgleich auch du selbst nicht wußtest, warum und wozu.“
Als ich den Häuptlingsschmuck aus seiner Hülle rollte, stieß der Indsman einen zweiten Ruf der Verwunderung aus:
„Uff, uff! Das echte, wirklich echte Gefieder des Kriegsadlers, den es jetzt nicht mehr gibt! Sind es fünfmal zehn Federn?“
„Noch mehr“, antwortete ich.
Da stand er ehrerbietig auf und sprach:
„So muß ich meinen Gruß und meine Bitte um Verzeihung – – –“
„Still, still!“ unterbrach ich ihn. „Wir sind hier nicht am Beratungsfeuer, und nur um zu den köstlichen Pferden zu gelangen, enthülle ich diese Heimlichkeit, deren Bedeutung man glücklicherweise hier wohl nicht kennt.“
Zu der Art von Schmuck, um die es sich hier handelt, durften nur die zwei äußersten Schwungfedern des Kriegsadlers genommen werden. Der meinige reicht hinten vom Kopf bis auf die Erde herab, ist von sorgfältigster, indianischer Arbeit und hat seine eigene, sehr ergreifende Geschichte. Als ich ihn aufsetzte, begannen zwei oder drei von den sechs von neuem zu lachen. Da aber fuhr Howe sie zornig an:
„Schweigt! Seht ihr denn nicht, was es nun geben wird! Er kennt das Geheimnis der drei Hengste! Da gibt es nichts zu lachen! Aber ich hoffe, er bricht trotzdem noch den Hals!“
Ich ging mitten zwischen ihnen hindurch, hinaus zu den Pferden. Da standen Peone. Keiner von ihnen sagte ein Wort; aber wenn Blicke die Wirkung von Büchsenkugeln besäßen, so wäre ich unter den ihren sofort zusammengebrochen. Die Fliegenschimmel hielten sich noch eng beisammen. Ich schritt langsam auf sie zu. Sie betrachteten mich, ohne sich zu bewegen. Ihre rötlichen Nüstern blähten sich. Ihre kleinen Ohren begannen zu spielen. In ihre langen, prächtigen Schwänze kam Bewegung. Zwei von ihnen ließen mich heran; der dritte aber schnaubte. Er wich zurück, doch ohne nach mir zu schlagen oder zu beißen. Der war der Klügste. Den hob ich mir auf bis zuletzt. Er hatte eine kleine, hellweiße Mouche grad über der Nase, kaum so groß wie ein Pfennig, ein tiefklares und gesundes Auge, ein charaktervolles, trockenes Köpfchen, eine seidenglänzende Haut und einen so tadellosen Bau, daß ich schon jetzt, wo er mir noch gar nicht gehörte, beschloß, ihn für mich selbst zu nehmen. Jetzt aber schwang ich mich auf einen der beiden anderen. Er ließ sich das ohne jeden Widerstand gefallen, trug mich zweimal im Galopp und im Kreis herum und flog dann mit mir über die Mauer, als ob sie nur eine niedrige Stufe sei. Lauter Beifall erscholl in den Höfen. Die sechs ‚Künstler‘ aber waren still. Ich brachte das Pferd bei den Maultieren unter und ging dann hinaus, um das zweite zu holen. Auch das gelang. Als ich dann zum letzten Male hinaus zu den Peonen kam, trat der von ihnen, welcher mich schon einmal angesprochen hatte, auf mich zu und sagte:
„Sir, Ihr gebt doch
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