0418 - Zwei Orchideen für eine Tote
Kostümfest. Ich soll dich fragen, ob du Lust hast. Wird ‘ne Bombensache. Wir haben alle zusammengeworfen und einen Berg Whisky und Schampus gekauft. Kommst du?«
»Kann leider nicht«, antwortete Elroy Hammer, ohne zu überlegen. »Ich möchte gerne, habe aber keine Zeit. Muß arbeiten.«'
»Heute, am Sonntag?«
»Ja. Leider. Grüß Maybelline! Sag ihr, daß ich mich über die Einladung freue. Aber es geht wirklich nicht.« Er legte auf, ohne Antwort abzuwarten.
Kostümfest, dachte er verächtlich .und widmete sich wieder seiner Whiskyflasche.
Aber der Gedanke ließ ihn nicht los. Und als die Flasche leer war und in Manhattan die Lichter aufflammten und die Portiers vor den Bars alle Hände voll zu tun hatten, da zog Elroy Hammer seinen besten Anzug an, band die neue Krawatte um, schlüpfte in den Mantel und verließ sein Zimmer. Ziellos machte er sich auf den Weg.
Es war immer noch bitter kalt. Elroy schob die Hände in die Taschen. Er war schon ein ganzes Stück gelaufen, als ihm plötzlich das Messer bewußt wurde, das kühl und schwer im seidigen Futter ruhte. Er überlegte, ob er es fortwerfen sollte, aber dann behielt er es.
Etwa gegen neunzehn Uhr betrat Elroy Hamfner Mady‘s Ballroom in der Westlichen 23. Straße. In dem großen Tanzsaal war ein Kostümfest im Gange. Über der wirbelnden, bunten Schar abenteuerlich verkleideter Menschen hing Zigarettenrauch wie eine Wolke. Es roch ein bißchen nach Schweiß, nach billigem Vergnügen, .nach schalem Bier. Hier merkte man nicht, daß der zweite Weltkrieg noch nicht beendet war. Die Tanzfläche war brechend voll. Als Elroy eintrat, saß kaum jemand an den Tischen.
Er blickte sich in dem hektischen Treiben um, grinste trunken und beschloß hier zu bleiben. Er gab seinen Mantel an der Garderobe ab und suchte sich einen Platz. Er fand ihn in einer Ecke, abseits vom Tanzgewimmel. Es war ein kleiner Tisch mit vier Stühlen. Nur ein Platz war belegt. Ein zierliches Damenhandtäschchen lag neben einem Martini-Glas. Die Olive war mit einem Plastikspieß durchbohrt, etwas schiefgequetscht und mehr grau als grün.
Elroy mußte lange warten, bis er bedient wurde. Er bestellte ebenfalls einen Martini bei dem plattfüßigen Kellner.
Dann war der Tanz beendet.
Ein geschmacklos als Henker kostümierter, bulliger Bursche führte eine schmale Mädchengestalt an Elroys Tisch. Das Mädchen setzte sich. Der Henker verneigte sich und verschwand.
Elroy musterte seine Tischnachbarin. Das zarte Gesicht war hinter einer schwarzen Larve verborgen. Durch die Sehschlitze leuchteten große, dunkle Augen. Der Teint war — soweit Elroy sehen konnte — von einem makellosen Bronzeton. Als das Girl das Martini-Glas ansetzte, kam ein voller, stark geschminkter Mund zum Vorschein. Die fast knabenhafte Gestalt steckte im Kostüm einer Zigeunerin. Elroy sah nackte, schlanke Arme. Schmale, etwas knochige Schultern stiegen aus der züchtigen Bluse empor.
Elroy war begistert. Dieses Girl war bestimmt von ganz anderer Art als Leila Eggens. Dieses Girl wirkte zart, anmutig, hilfsbedürftig. Es würde niemanden in ein zwielichtiges Lokal lotsen, sich von keinem brutalen Schläger einladen lassen, niemanden einen Waschlappen schimpfen.
Elroy forderte die Zigeunerin zum nächsten Tanz auf, bevor der Henker auftauchte. Elroy tanzte mit der schlanken Gestalt und war entzückt. Er flirtete mit ihr. Sie hatte eine angenehme Altstimme und schien schüchtern zu sein, denn sie hielt beim Tanzen immer zwei Handbreit Abstand, obwohl Elroy mit List versuchte, die schmale Gestalt an sich zu ziehen.
Sie tanzten, flirteten, tranken.
Die Stunden eilten wie im Fluge dahin. Elroy verliebte sich bis über beide Ohren. Mehrmals versuchte er, die Gesichtsmaske seiner schönen Partnerin zu lüften. Aber sie verwehrte es ihm. Daß sie eine Perücke trug, war offensichtlich. Es waren schwere, schwarze Haarflechten. Elroy fragte, wie ihre natürliche Haarfarbe sei.
»Blond«, sagte das Girl und lächelte.
Es wurde Mitternacht. Elroy war betrunken, hielt sich aber erstaunlich gerade. Er schwebte wie auf Wolken. Die Zigeunerin hatte ihm versprochen, daß er sie nach Hause bringen dürfe.
Als sie aufbrachen, hatte Elroy das Gesicht seiner Partnerin noch immer nicht gesehen.
Sie hielten ein Taxi an.
Penny, auf diesen Namen hörte die Zigeunerin, wohnte in einem großen grauen Steinkasten der 59, Straße West. Sie stiegen aus. Das Taxi fuhr ab. Die Straße war einsam, leer, feucht und schmutzig vom Schnee.
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