046 - Penelope von der 'Polyantha'
Lippen zuckten. »Ich könnte ebensogut eine Reise zu den Plejaden planen.«
Die Dame runzelte die Stirn.
»Wohin?«
»Ich meine zu dem Sternbild«, erklärte das Mädchen.
Ihre Reisegefährtin nickte. Sie war wirklich hübsch. Ihre großen, braunen Augen waren von einer so dunklen Farbe, daß sie fast schwarz erschienen. Sie mochte achtundzwanzig Jahre alt sein, vielleicht war sie auch jünger. Ihre klassisch schönen Züge faszinierten Penelope, und nur etwas störte sie. Es war der gerade Mund mit den feinen und etwas zu dünnen Lippen. Das war aber auch der einzige Fehler, den sie entdecken konnte. Penelope selbst war auch schön, aber in einer ganz anderen Art. Sie hatte ein offenes, freies Wesen, war lebhaft und lebendig, ein Kind der Prärie, von der Sonne gebräunt. Ihre Haltung war aufrecht und frei, ihre Haut sammetweich und makellos.
Die andere Dame mußte man dagegen zierlich und hübsch nennen; man hätte sie mit kostbarem, zartem Porzellan vergleichen können. Sie hatte etwas von der Geschmeidigkeit feiner, eleganter Kätzchen.
Penelope schlief in dieser Nacht in dem Bett über ihr. Sie hätte zu gern gewußt, wer diese fremde Dame war. Sie mußte ihre Gedanken auf andere Dinge richten, sonst hätte sie weinen müssen, weil sie sich so elend und verlassen fühlte. Das dauernde, gleichmäßige Stoßen der Wagen, das die anderen Passagiere in den Schlaf wiegte, hatte gerade die entgegengesetzte Wirkung auf sie. Sie war vollkommen wach. Immer wieder erinnerte sie sich an ihr trauriges Erlebnis; dann wieder dachte sie an die Frau, die unter ihr lag. Aus den Nachbarabteilen drang das Schnarchen der Schläfer. Der Lokomotivführer kam ihr in den Sinn, der auf der Plattform der Maschine stehen mußte.
Allmählich fiel sie in einen leichten Halbschlaf, aber plötzlich erwachte sie wieder. Sie schaute hinunter und sah in das blasse Gesicht ihrer Reisegefährtin, die vor sich hinstarrte.
»Ist etwas passiert - sind Sie krank?« fragte Penelope und richtete sich im Bett auf.
Die Dame antwortete nicht. Sie stand zwischen den Vorhängen und hielt sich mit den Händen an dem Bett fest.
Als Penelope hinuntersteigen wollte, hörte sie ein Flüstern.
»Wenn er nur nicht stirbt! Hast du auch daran gedacht, Arthur? Wenn er nur nicht stirbt, oder wenn Whiplow nicht schweigt!«
Die Fremde schlief und war doch wach. Penelope war sofort an ihrer Seite. Sie gab sich alle Mühe, sie wieder zu Bett zu bringen, und es gelang ihr schließlich auch. Ein paar Minuten später schlief die Fremde wieder ruhig.
Als Penelope ihr das Kissen zurechtschob, fiel eine flache Lederhandtasche auf den Boden und öffnete sich. Das Mädchen sah die kleine Fotografie eines hübschen jungen Mannes und vermutete, daß es Arthur war.
»Ich habe im Schlaf gesprochen? Wie sonderbar! Was habe ich denn gesagt?«
Penelope hatte es ihr während des Frühstücks im Speisewagen erzählt.
»Nicht viel. Ich erschrak so sehr, als ich Sie sah, daß ich kaum verstand, was Sie sagten. Sie sprachen mit einem Arthur und erwähnten jemand, der sterben sollte, ich glaube Whiplow war der Name.«
Die Dame sah sie ernst an.
»Den Namen kenne ich ja gar nicht. Und ich habe auch früher nie einen Anfall von Schlafwandel gehabt. Wahrscheinlich war ich ein wenig übermüdet. Arthur? Das kann ich Ihnen erklären. Er ist mein Mann. Ich bin Mrs. Arthur Dorban - Cynthia Dorban. Ich dachte, ich hätte es Ihnen gestern abend schon mitgeteilt? Wie merkwürdig!«
Mrs. Dorban machte keinen Versuch, noch näher auf dieses Thema einzugehen.
Sie erzählte Penelope, daß sie nach einem zweitägigen Aufenthalt in Toronto nach Quebec weiterfahren wollte. Auch Penelope schenkte ihr nun Vertrauen, soweit eine natürliche Vorsicht ihr das gestattete. Unter keinen Umständen hätte sie ihr Abenteuer mit dem Kaufmann erwähnt.
Mrs. Dorban hörte ihr nachdenklich zu.
»Haben Sie noch keine neue Stellung? Auch keine Freunde im Osten Kanadas? Was sagten Sie eigentlich dem älteren Herrn? Wollen Sie wirklich nach England gehen?«
Penelope schüttelte lachend den Kopf.
»Das war ein verrückter Plan - einer meiner unerfüllbaren Träume. Ich möchte es natürlich gern; ich bin nämlich in London geboren und habe schon immer Sehnsucht nach Europa gehabt, aber ich werde wohl niemals dazu kommen, eine solche Reise zu machen.«
Eine lange Pause trat ein. Der Zug fuhr durch unübersehbare Weizenfelder, die wie ein Meer wogender Wellen anzusehen waren. So weit das Auge reichte,
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