046 - Penelope von der 'Polyantha'
unterhaltend.
Er hatte braune Augen, und im allgemeinen liebte Penelope Männer mit braunen Augen nicht. Aber Mr. Arthur Dorban gefiel ihr trotzdem ganz gut. Sie fühlte sich eigentlich mehr zu ihm als zu Cynthia hingezogen. Kanada kannte er freilich nur oberflächlich.
»Ich bin einmal dort gewesen, als ich noch jung war«, sagte er. »Aber ich liebe Seereisen nicht. Ich will lieber freiwillig zehntausend Pfund zahlen als eine Reise über den Atlantischen Ozean machen.«
»Sind Sie früher häufig in Amerika gewesen?« fragte Penelope neugierig.
»Ich habe den Atlantik zweimal überquert«, entgegnete er vergnügt lächelnd. »Ich mußte das zweimal tun, weil ich sonst nicht nach England zurückgekommen wäre, Miss Pitt!«
Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Londoner Hotel. Mrs. Dorban nahm ein Auto und fuhr mit Penelope durch den Hyde Park. Das Mädchen war erstaunt und erfreut. Sie hatte sich London immer als einen Haufen niedriger, schmutziger Ziegelhäuser vorgestellt. Der Park machte einen großen Eindruck auf sie. Hinter dem dunklen Grün der Bäume tauchten die Türme und hohen Gebäude der Stadt auf. Sie war begeistert von dem Anblick der herrlichen Blumenbeete und des silberhellen Wassers.
Am nächsten Morgen fuhren sie mit dem Frühzug nach Torquay und erreichten spät am Mittag Borcombe.
Stone House, der Wohnsitz der Dorbans, lag nach der See zu in einer Talmulde der mit Grün bestandenen Dünen. Das Haus war ziemlich unregelmäßig gebaut. Oben von den roten Steinklippen aus konnte man es nicht sehen, und unten war es nach der Küste zu hinter einer Reihe von Ahornbäumen halb verborgen. Es war Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einem Mann errichtet worden, der sich völlig von der Welt zurückgezogen und nur noch seinen Liebhabereien gelebt hatte.
Ein ziemlich steiler, enger Weg führte von den Klippen abwärts zu dem Gebäude. Seine schwere Zugänglichkeit war schon seit Generationen allen Handelsleuten ein Dorn im Auge.
Penelope erschien dieses Anwesen wie ein Paradies. Auf abschüssigem Gelände zog sich der Garten hin, in dem farbenprächtige Blumen wild wuchsen oder vom Gärtner gezogen wurden. Unten bildete eine Ziegelmauer die Grenze. Durch ein altes Tor kam man von hier aus auf einem Privatweg - es war eigentlich weniger ein Weg als eine Reihe von Steinstufen, die auf einer breiten Felsplatte endeten - zu dem Schuppen, in dem Mr. Dorbans starkes Motorboot untergebracht war. Die Natur hatte hier eine ideale Anlegestelle geschaffen, denn das Bootshaus, dessen Dach von zwei Felsen getragen wurde, lag an der innersten Stelle einer kleinen Bucht und wurde bei stürmischer See durch zwei Felsenriffe geschützt, die ziemlich weit vorsprangen und einen natürlichen Hafen bildeten.
»Entzückend, nicht wahr?« fragte Cynthia gleichgültig. Sie schien sich kaum für solche Dinge zu begeistern oder auch nur zu interessieren, sie war vollkommen auf die praktische Seite des Lebens eingestellt. »Es ist ein langer Weg bis zum Dorf, aber wir haben ein Auto, damit wir nicht hinaufklettern müssen. Können sie eigentlich selbst fahren?«
Penelope nickte.
»Schön. Und jetzt sehen Sie sich Ihr Zimmer an.«
Cynthia führte sie eine breite Treppe empor, dann durch einen langen, dunklen Gang, an dessen Ende das Zimmer lag. Es war klein und einfach eingerichtet, aber es hatte zwei Fenster, durch die man auf die smaragdgrüne See und die dunkelroten Klippen blicken konnte.
Penelope atmete tief ein, als sie diese Schönheit sah.
»Gefällt es Ihnen?« fragte Cynthia und beobachtete sie genau.
»Es ist herrlich!«
Mrs. Dorban lachte kurz auf. »Für mich ist es die Hölle«, sagte sie.
Die Tage vergingen erstaunlich schnell. Penelope fand viel mehr Arbeit vor, als sie zuerst erwartet hatte. Ein Zimmer im Erdgeschoß war als Arbeitszimmer eingerichtet, und gewöhnlich ließ man sie dort allein.
Nach dem Frühstück, das sie in dem dunkelgetäfelten Speisezimmer einnahm, ging sie in das Arbeitszimmer und war dann bis zur Mittagszeit dauernd mit Pachtverträgen und anderen Dokumenten beschäftigt, die sich auf Güter in den verschiedenen Teilen des Landes bezogen.
Es waren keine Originale, sondern beglaubigte Abschriften, die offenbar von einem Londoner Rechtsanwalt beschafft worden waren. Penelope war damit betraut worden, den ungefähren Wert der Liegenschaften und Güter festzustellen. Um ihr diese Aufgabe zu erleichtern, standen unzählige Verkaufskataloge, Auktionsberichte und Statistiken
Weitere Kostenlose Bücher