047 - Amoklauf
schlug sie die Augen wieder auf und sah uns verwundert an. Sie wollte die Hände bewegen, konnte es aber nicht.
»Weshalb bin ich gefesselt?« fragte sie. »Lassen Sie mich sofort los!«
Rahan und ich wechselten einen raschen Blick.
»Sie führten sich seltsam auf, Madame«, sagte ich. »Es blieb uns keine andere Möglichkeit, als Sie zu fesseln.«
»Ich will sofort befreit werden!« kreischte sie wütend. »Ich werde mich beschweren. Es ist eine unerhörte Frechheit, mich mit Handschellen zu fesseln, noch dazu in meinem eigenen Haus. Das wird Sie teuer zu stehen kommen, Inspektor!«
Ihr Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Rahan öffnete rasch die Handschellen und Grace sprang auf. Jetzt erst merkte sie, daß sie nur einen Morgenrock trug, der halb offenstand. Sie zog ihn enger um ihre Brüste und rauschte wütend aus dem Zimmer.
Rahan ließ sich auf einen Stuhl fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was ist in sie gefahren?« fragte er leise. »Sie führte sich auf, als wäre sie mannstoll, und von einem Augenblick auf den anderen weiß sie nichts mehr davon?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. Es hätte wenig Sinn gehabt, ihm zu erklären, um was es ging. Er hätte mir ganz sicher nicht geglaubt und mich für verrückt gehalten.
Graces Benehmen war noch relativ harmlos gewesen. Jeden Augenblick konnte sie wesentlich ärgere Dinge tun. Hewitt hatte völlige Kontrolle über sie und konnte von ihr verlangen, was immer er wollte. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte nur passiv bleiben und abwarten, was als nächstes geschehen würde, hatte aber keine Möglichkeit, irgend etwas zu verhindern.
»Haben Sie mit Hewitt gesprochen?« fragte ich Rahan.
»Ja«, sagte der Inspektor. »Ich habe mich heute Morgen mit ihm unterhalten, bevor ich hierher gefahren bin. Er sagte mir, er hätte anhand der Blutuntersuchungen nichts feststellen können. Alle drei Frauen seien ganz gesund und nicht von der rätselhaften tollwutähnlichen Seuche befallen. Er konnte sich nicht erklären, was Harry und Tony Richardson zum Amokläufer werden ließ. Niemand kann sich das erklären. Wir stehen vor einem völligen Rätsel. Ich werde veranlassen, daß die drei Frauen nochmals von einem Arzt untersucht werden.«
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie keine Ahnung, was oder wer für diese Vorfälle verantwortlich ist?«
Rahan seufzte. »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. So einen Fall hatten wir noch nie. Ich wollte …«
Gloria stürmte wütend ins Zimmer. Sie blieb vor uns stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
»Was haben Sie mit meiner Mutter getan?« fragte sie mit bebenden Lippen und mit vor Wut unterdrückter Stimme.
»Lassen Sie es mich erklären, Miß Richardson«, sagte Rahan.
»Sie haben sie gefesselt«, schrie Gloria mit überschnappender Stimme. »Das geht doch ein wenig zu weit, nicht wahr?«
»Hören Sie mir bitte zu!« bat Rahan beherrscht und stand auf. »Setzen Sie sich!«
Gloria blieb stehen.
»Ihre Mutter führte sich eigenartig auf«, sagte Rahan vorsichtig.
»Was meinen Sie mit eigenartig?«
»Nun ja, sie wurde zudringlich.«
»Was?« Sie blickte den Inspektor an und dann mich. Ich nickte. »Das ist doch Unsinn! Meine Mutter soll zudringlich geworden sein? Das ist ja lächerlich!«
»Es stimmt«, sagte ich. »Zuerst versuchte sie mich zu verführen, später dann den Inspektor.«
»Ich glaube es nicht«, sagte sie fest. »Ich glaube es einfach nicht. Nicht meine Mutter.«
Rahan seufzte. »Es schien, als hätte Ihre Mutter unter einem fremden Zwang gehandelt. Von einem Augenblick zum anderen konnte sie sich an nichts mehr erinnern.«
»Es war so wie bei Ihrem Bruder, Gloria«, sagte ich. »Als er aus seiner Erstarrung einmal erwachte, konnte er sich auch an nichts mehr erinnern.«
Sie sah mich nachdenklich an und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Schließlich setzte sie sich. »Das würde bedeuten, daß sie sich jeden Augenblick wieder verändern kann«, sagte sie.
»Richtig, Gloria.«
Sie preßte die Lippen zusammen. »Was ist mit uns allen los? Ich halte das einfach nicht mehr aus. Können Sie uns nicht helfen, Mr. Stack?«
»Ich versuche es, Gloria. Aber bis jetzt bin ich nicht weitergekommen.«
Sie sprang wütend auf. »Sie unternahmen aber bis jetzt auch noch gar nichts, Mr. Stack.« Sie ging zur Tür. »Ich spreche mit meiner Mutter.«
Dann war sie verschwunden.
»Was werden Sie unternehmen, Inspektor?«
Rahan hob die
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