047 - Die letzten Tage von Riverside
sie den Nachschub, den Colin ihnen zuwarf.
» Sie wissen mehr als wir, glaubt mir das, Jungs, sie wissen mehr …« Petes Stimme klang weinerlich. Simon beobachtete ihn von der Seite. Fast grau erschien ihm die Gesichtsfarbe des kleinen, etwas dicklichen Pete. Wenn man ihn besuchte, hing er regelmäßig vor der Glotze und ließ sich das Hirn von CNN abfüllen. Und wenn man ihn durch seinen Garten schlurfen sah, fielen seine hochgezogenen Schultern und sein schleppender Gang auf.
»Schaut hin, dann wisst auch ihr genug.« Mit einer Kopfbewegung wies der junge Rudy Armagosa auf die Mattscheibe. Panzer rollten über die East Houston Street von Manhattan. Hunderte von meist jungen Menschen flohen vor ihnen. Angehörige der Nationalgarde jagten ihnen hinterher und prügelten auf sie ein. » Guckt euch das an! «
Ähnliche Bilder aus anderen Teilen der Welt: Aufgebrachte Massen vor dem britischen Parlament, Militärkolonnen auf den Champs- Elysees, Schüsse in die Menge vor dem brasilianischen Präsidentenpalast, den das Militär in tagelangen Kämpfen zurückerobert hatte.
» Ihr habt doch Augen im Kopf! «
Rudys Stimme überschlug sich. Der aggressive Unterton beunruhigte Simon. Genau wie sein Großvater hatte sich auch der schlaksige Bursche mit den vielen Ringen in Ohren und Nase und dem langen schwarzen Zopf auf dem ansonsten kahlen Schädel verändert.
Feierte wilde Partys im Nachbarhaus, ließ sich sogar tagsüber nur mit Bierdose in der Faust blicken und ging nur noch ins College, wenn es ihm passte. » Vielleicht wissen sie nichts, aber sie ahnen es «, sagte er lauter als notwendig.
» Glaubt mir, sie ahnen es! «
» Schwachsinn! «, knurrte Colin.
» Vollkommener Schwachsinn! «
Simon zuckte zusammen, als er den Verschluss seiner Dose knallen ließ.
»Er hat doch Recht.« Pete schüttete den Kopf und seufzte. »Es ist hundert Mal schlimmer als damals, als diese Teufel das World Trade Center platt machten, wisst ihr noch? Das Fanal für die Religionskriege, wisst ihr es noch? Damals roch alles nach Weltuntergang. Jetzt stinkt es danach… Rudy trifft den Nagel auf den Kopf! Es geht zu Ende mit…«
» Halt endlich das Maul! «, blaffte Colin.
Die Tür im Garagentor öffnete sich. Gina und Eve traten ein. »Ach, hier seid ihr!« Eve beugte sich zu Simon hinunter und küsste ihn auf die Wange. Ihr Gesicht nahm einen missmutigen Ausdruck an, als sie die Bierdose in seiner Hand sah. »Matt hat angerufen«, flüsterte sie.
»Er ist unterwegs nach New York City.«
»Warum ausgerechnet in den Big Apple?«
»Er wollte noch einmal bei Burt vorbeischauen.«
Noch einmal bei Burt vorbeischauen…
Simon Drax nickte. CNN hatte zu einer Pressekonferenz ins Pentagon umgeschaltet. Ein Mann mit Glubschaugen stand an einem Rednerpult. Die Bilder rauschten an Simon vorbei. Wie betäubt fühlte er sich für Sekunden.
Noch einmal bei Burt vorbeischauen…
Als wäre es das letzte Mal. Simon blickte in die graublauen Augen seiner Frau. Angst hatte sich darin eingenistet. Seit Tagen - oder seit Wochen? Sie glaubte es auch; innerlich hatte sie sich schon damit abgefunden. Ihre Sprache verriet sie: Noch einmal bei Burt vorbeischauen…
» Macht endlich die Glotze aus. « Gina Ashton schlug einen energischen Ton an. Den hatte sie sich in neunzehn Ehejahren mit einem Betonschädel angeeignet.
Gina war eine kräftig gebaute Frau Anfang viejzig, mit schwarzem Haar und herben Gesichtszügen. Sie stammte von italienischen Einwanderern ab. Ihr Vater war bis vor drei Jahren Bürgermeister von Riverside gewesen.
»Kommt lieber ins Haus und guckt euch an, was Kathleen da auf die Beine stellt!« Stolz schwang in ihrer Stimme. Seit Kathleen aus Deutschland zurückgekehrt war, arbeitete sie an einem Theaterstück.
Niemand beachtete Gina sonderlich. Alle Augenpaare hingen am Bildschirm. Der Mann, der dort hinter einem Rednerpult hin und her tänzelte, hieß Jacob Smythe. Eine Einblendung stellte ihn als Professor der Astrophysik und Doktor der Medizin vor. Und als Chef der Astronomie Division der US Air Force.
»CNN bringt euch noch um den Verstand«, nörgelte Gina. »Und das Bier gibt euch den Rest.« Sie nahm Rudy Armagosa die Dose weg. »Was soll das, Rudy? Bist gerade mal siebzehn und hältst mit den Männern mit?« Sie funkelte ihren Gatten an. »Kannst du mir bitte verraten, wie ein Gesetzeshüter das mit seinem Gewissen vereinbaren kann?«
»Wir sind hier nicht in der Öffentlichkeit, Honey.« Colin küsste seine Frau
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