Das Bildnis der Novizin
Prolog
Am Hochfest des heiligen Augustinus, im Jahre des Herrn 1457
KLOSTER SANTA MARGHERITA, PRATO, ITALIEN
I mmer gibt es Blut, denkt die Hebamme, und immer sind es wir Frauen, die bluten müssen: bei der Entjungferung, bei der Monatsregel, bei der Besiegelung des ehelichen Gelöbnisses. Ob sie sich freiwillig hingeben oder dazu gezwungen werden, immer bluten die Frauen. Und wenn die Männer mit ihnen fertig sind, dann kommen sie zu uns ins Kloster, damit wir beenden, was begonnen wurde.
Die Hebamme drückt einen mit Osterluzei getränkten Lappen zwischen die Beine der jungen Mutter. Rasch saugt er sich mit frischem, hellrotem Blut voll, aber auch mit dickem, schwarzrotem. Es war eine lange und schwierige Geburt, die junge Frau hatte sich von der Nona, der neunten Stunde, bis zur Mette gequält. Länger als zwölf Stunden, und die Auflage aus Kamille und Verbene, die die Blutung stillen sollte, tut ihre Wirkung noch immer nicht. Über dem östlichen Nachthimmel steht die Sichel des Viertelmonds und bescheint das kleine Städtchen Prato in der Toskana. Die junge Mutter verlangt stöhnend nach ihrem Kind. Ihre Augen sind tief eingesunken, das Gesicht schmerzverzerrt.
Der Blick der alten Hebamme schweift durch die Kammer der Infermeria, der Krankenstation, und heftet sich auf eine junge Novizin, die kreidebleich und zitternd im Schein der flackernden Kerze steht, den in Tüchern gewickelten Säugling in den Armen. In dem engen, stickigen Raum riecht es wie in einem Schlachthaus; ein metallischer Blutgeruch liegt in der rauchgeschwängerten Luft.
Die Hebamme tritt zu der jungen Helferin und mustert den Säugling kritisch. Seine Gesichtsfarbe scheint in Ordnung zu sein. Seine kleine Brust hebt und senkt sich unter den ersten Atemzügen, die er in dieser Welt tut. Vom Bett her ertönt ein neuerliches Stöhnen.
Die kleine Novizin ist zutiefst erschüttert. Sie ist erst elf Jahre alt, ihr dünner Körper ist noch unreif und kindlich. Dennoch war sie es, die die Beine der Gebärenden festhielt, während die Hebamme Kopf und Schultern des Säuglings herauszog. Sie war es, die der jungen Mutter in den langen, harten Stunden der Geburt beistand, die ihre Schreie mit anhörte, ihre Kämpfe mit ansah; sie war es, die die Erschöpfte mit einem leicht verdaulichen Fencheleintopf fütterte, um sie bei Kräften zu halten.
Und genau diesen Schock hatte sich die Hebamme erhofft.
»Immer gibt es Blut«, sagt die alte Nonne. »Nun hast du es selbst gesehen: Dies sind die Folgen der Fleischeslust.«
Die Novizin weicht dem durchdringenden Blick der Alten aus, den Säugling fest im Arm. Die junge Mutter ruft laut nach ihrem Kind. Die Hebamme nimmt eine alte Decke, die vom vielen Schrubben mit einer Drahtbürste ganz ausgebleicht und fadenscheinig ist, und hüllt den zitternden Leib der Mutter darin ein. Als diese das runzlige Antlitz der alten Frau über sich erblickt, vom Nonnenschleier wie von einem Heiligenschein umrahmt, kommt sie ein wenig zu sich und wendet schwach den Kopf zur Seite. Ihr Blick fällt auf den großen Holzbottich, in dem man ihr Kind gebadet hat und dessen Wasser nun ebenfalls rot gefärbt ist.
»Gib ihn mir«, bittet sie und streckt eine bleiche Hand nach der Hand der Hebamme aus. »Ich flehe dich an, gib ihn mir.«
Die Hebamme hält einen kleinen Becher an die Lippen der jungen Mutter. Er enthält einen starken Tee, eine Mischung aus Ringelblüten und Nesseln.
»Trink«, sagt sie und die junge Frau spitzt gehorsam die Lippen. Doch kaum hat sie den bitteren Trank geschluckt, ruft sie erneut nach ihrem Kind.
»Gib ihn mir«, bettelt sie, »gib mir meinen Sohn.« Flehentlich streckt sie die Arme aus, ihre Finger krallen die Luft.
Die Novizin wagt kein Wort zu sagen. Das Kind jedoch stößt einen kräftigen Schrei aus, als antworte es dem Ruf der Mutter.
Im Schrank neben der Tür liegt ein Brief des Generalabts des Augustinerordens, Ludovico Pietro di Saviano, mit seinem Siegel aus blutrotem Wachs. Die alte Nonne nimmt, erschöpft von den Pflichten der letzten Stunden, das Pergament heraus und liest es noch einmal durch. Ihre alten grauen Augen sind ungebrochen scharf. Selbst im trüben Licht der Kammer kann sie die Worte des hohen kirchlichen Würdenträgers noch lesen. Ihr Blick huscht zu dem schweren Kruzifix, das über dem Bett an der Wand hängt. Die Alte weiß, dass es ihr nicht zusteht, die Anweisungen des Generalabtes infrage zu stellen. Sie ist lediglich eine bescheidene Dienerin des
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