0504 - Lorna, die Löwenfrau
Käfige aus Erfahrung.«
Einer Antwort wurde ich enthoben. Durch die offene Tür drang das Geräusch von Schritten. Lataresse kehrte wieder zurück. Er betrat den Raum sehr hastig, blieb abrupt stehen und schaute zu uns hoch.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er war härter geworden, aber auch Gefühle spiegelten sich darin wider. Man sah ihm an, daß er keinen Erfolg gehabt hatte.
»Haben Sie telefoniert?« fragte ich trotzdem.
»Ja, das habe ich.«
»Und?« hakte ich nach.
»Er war da!«
»Duncan?«
»Genau.« Lataresse gab ein knurrendes Geräusch von sich. »Aber meine Lorna nicht.«
»Das ist Pech. Hat er Ihnen sagen können, wo Ihr Schützling hingegangen ist?«
»Das hat er, Sinclair. Sie ist nicht freiwillig weggelaufen. Man hat sie mitgenommen.«
»Und wer?«
»Ein Chinese!«
»Das war Suko«, sagte Bill lachend.
Das Lachen störte Lataresse. »Es wird dir vergehen, Hundesohn. Es wird dir wirklich vergehen, und deinem Freund ebenfalls, das schwöre ich euch. Ich weiß nicht, wo sich Lorna befindet, aber ich nahm das Schlimmste an!« schrie er plötzlich. »Und deshalb«, jetzt senkte er seine Stimme wieder, »werde ich mich furchtbar rächen. Habt ihr gehört? Ich werde mich grausam rächen.«
»Sie sollten noch warten«, schlug ich vor.
»Neiiinnn!« Es war ein wilder Schrei, der seine Gefühle ausdrückte. »Ihr bezahlt mir für Lorna!« Mit einem heftigen Ruck schleuderte er den Umgang zur Seite, der noch einmal hochflatterte, sich ausbreitete und wie ein großer Vogel langsam zu Boden schwebte.
Zuerst dachte ich, daß Lataresse darunter nackt war. Es stimmte nicht. Er trug eine sehr dünne, eng geschnittene Hose aus fleischfarbenem Material.
»Der Löwe brüllte heute nacht! heißt es in einem Lied. Ich werde in dieser Nacht brüllen und töten…«
***
Daß er uns den Mord versprochen hatte, lag auf der Hand. Aber er wollte uns nicht als Mensch ins Jenseits schicken, sondern als Tier, als Löwe, der die mächtige Magie des Schwarzen Kontinents in sich spürte und für den es kein Hindernis gab.
Die fünf Frauen traten zur Seite. Sie wußten, daß ihr Meister Platz brauchte.
Wo er stand, fiel er auf die Knie. Er streckte dabei die Arme aus, winkelte sie gleichzeitig an und stützte sich mit den Handflächen ab. In dieser Haltung blieb er vorerst und bewegte den Kopf, wobei er das Haar schüttelte, als wäre es schon zu einer Mähne geworden.
Aus seinem Mund drangen schwere, pfeifende Atemzüge, jedes Luftholen glich einem tiefen Stöhnen, es bereitete ihm Mühe, er schüttelte sich weiter, und wir schauten aus der Höhe zu ihm herab.
»Das Haar wächst!« hauchte Bill.
Ich nickte. »Wir werden bald einen Löwen vor uns sehen.«
»O verdammt!«
Ein gräßliches Brüllen tobte durch den Kellerraum. Wir konnten sein Gesicht nicht sehen, weil er gegen den Boden starrte, aber wir sahen, daß die feinen Haare auf seinem Körper wuchsen, welche hinzu kamen, so daß ein dichter Pelz entstand.
Ein Löwenfell!
Ich sah zu den Frauen hin. Sie standen in demütigen Haltungen und warteten ab. Auf ihren Gesichtern las ich so etwas wie Angst und auch Hoffen.
Plötzlich sprang er auf.
Es war ein Sprung, wie ihn ein Mensch kaum schaffte. Es sei denn, er war mit den Kräften eines Raubtieres ausgestattet, und die besaß Lataresse mittlerweile.
Er stand auf beiden Beinen, warf die Arme zurück und riß die gleichzeitig hoch.
Dann schrie er.
Es waren laute Schreie, halb menschlich, halb tierisch. Endlich wandte er uns auch sein Gesicht zu.
Gesicht?
Nein, das war es nicht. Das Menschliche hatte sich aus Dr. Lataresse zurückgezogen.
Ein flaches Maul, umgeben von einem dichten Fell, in das die kalten Augen eingebettet lagen. Augen, die kein Erbarmen kannten, keine Gnade. Der Blick verhieß Mord.
Auch seine Hände hatten sich verändert. Wir sahen keine Finger mehr, dafür dicke Pranken mit leicht gebogenen Krallen, die der Löwe hatte ausfahren lassen.
Löwe und Mensch!
Diese Mischung war bei Lataresse perfekt gelungen. Der Kopf hatte sich in seiner Größe mehr als verdoppelt. Im Verhältnis paßte er nicht zum Körper, es sah eigentlich lächerlich aus, aber ich hütete mich, auch nur zu grinsen. Danach war mir beileibe nicht zumute.
Was er wollte, lag auf der Hand.
Dazu allerdings mußte er uns zunächst einmal aus dem Käfig bekommen.
»Eine tolle Zielscheibe ist das«, sagte Bill. Er rieb seine schweißfeuchten Hände am Stoff der Hosenbeine trocken.
»Du kannst ihn
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