Sündenfall: Roman (German Edition)
EINS
J anusz knallte den jungen Mann mit so viel Wucht gegen die frisch verputzte und gestrichene Wand der Wohnung, dass er die Leitungen knacken hörte. Dann drehte er dem Nichtsnutz den Kragen seines Sweatshirts am Hals zusammen.
»Ehrenwort, Janusz!« – wieder ein Stoß. »Tut mir leid, Pan Kiszka. Der Bauunternehmer hat mich noch nicht bezahlt, aber in zwei Tagen kriege ich einen Tausender. Das schwöre ich bei den Wundmalen Christi.«
Als Janusz innehielt, um Luft zu holen, und die freie Hand gegen die Wand stützte, erkannte er sein Spiegelbild in der dreifach verglasten Fensterscheibe neben Slaweks Schulter. Er sah einen kräftigen, noch verhältnismäßig jungen Mann, breitschultrig, muskulös und mit einem markanten Kiefer – allerdings schon mit den unverkennbaren ersten Anzeichen gebeugter Schultern und einem Grauschleier im dichten, dunklen Haar. Naprawde , allmählich wurde er zu alt für solche Sachen.
Vorsichtig streckte er die Wirbelsäule, hielt Slaweks Kragen aber weiterhin fest umklammert. Dabei blickte er sich im Raum um, eine frisch renovierte, »luxuriöse« Einzimmerwohnung in einem Hochhaus, mit Blick auf die Mondlandschaft der Baustelle, wo gerade das Olympiagelände entstand. Fenster vom Boden bis zur Decke rahmten das schwarze Skelett des halb fertigen Stadions ein, das, bewacht von Kränen, wie eine riesige Teetasse siebzehn Stockwerke unter ihnen ruhte. Wenn das Haus erst fertig war, würde allein die Aussicht den saftigen Preis noch um zusätzliche vierzig- oder fünfzigtausend in die Höhe treiben.
Nicht zu fassen. Nach dem zu urteilen, was er bis jetzt von Stratford kannte – und das war, weil inzwischen eine ganze Menge Polen auf der Olympiabaustelle arbeiteten, viel zu viel für seinen Geschmack –, fand er es einfach nur scheußlich hier. Da die deutsche Luftwaffe die Gegend, zusammen mit dem Großteil des East End, im Krieg plattgemacht hatte, hatten die damaligen Stadtplaner beschlossen, den Ortskern neu zu gestalten – und zwar in Form eines aus Beton gegossenen Einkaufszentrums in der Mitte eines riesigen, dreispurigen Kreisverkehrs. Das Ergebnis erinnerte Janusz an den Schrott, mit dem die Kommunisten in den Fünfzigern und Sechzigern halb Polen zugepflastert hatten.
Slawek war zwei Wochen mit den Zahlungen im Rückstand und laberte wie immer nichts als Mist. Der Bohrhammer, den Janusz ihm vor über einem Monat geliefert hatte, lehnte – noch immer mit der Aufschrift »Eigentum des Transportministeriums« versehen – an dem gewaltigen, cremefarbenen Smeg im amerikanischen Stil. Janusz wusste, dass dem Kühlschrank ebenso wie den übrigen funkelnden Küchengeräten die Seriennummer des Herstellers fehlte, denn er hatte sie selbst vor der Übergabe mit dem Dreieckschleifer entfernt.
»Je schneller ich mit dem Auftrag durch bin, desto früher werde ich bezahlt – und dann kriegst du deine Kohle«, nutzte der junge Mann die Waffenruhe aus.
Janusz hatte genügend Jahre seiner Jugend auf Baustellen verbracht, um zu erkennen, dass hier trotz des oberflächlichen Glanzes gepfuscht worden war. Er hätte sich damals einen Satz heiße Ohren eingefangen, wenn er so schlampig verputzt oder für die Dunstabzugshaube keine verzinkten Schrauben verwendet hätte, denn diese hier würden rosten, sobald sie mit den ersten Küchendämpfen in Berührung kamen. Trotzdem schien die Wohnung fast fertig zu sein. Er seufzte. Sosehr er das Geld auch brauchte, er musste zugeben, dass Slaweks Einwand etwas für sich hatte.
Also schubste er ihn noch einmal halbherzig gegen die Wand. »Slawek, du bist ein fauler Wichser.« Allerdings bemerkte Slawek, dass sich der Tonfall des kräftigen Mannes verändert hatte, und wirklich ließ dieser ihn im nächsten Moment mit einer angewiderten Geste los.
»Noch eine Woche. Wenn du mich dann wieder verarschst, müssen dir die Docs den Bohrer aus dem Hintern ziehen.«
» Tak, tak . Ich weiß das wirklich zu schätzen, Pan Kiszka.« Slawek machte beinahe Luftsprünge, als er Janusz zur Tür folgte. »Kann ich vielleicht etwas für Sie tun? Als Dankeschön?«
Janusz lachte brüllend auf. »Dich würde ich nicht mal ein Katzentürchen einbauen lassen!«, erwiderte er, über die Schulter gewandt. Slaweks letztes Renovierungsprojekt, ein dreigeschossiges georgianisches Stadthaus in Notting Hill, war in polnischen Kreisen inzwischen zur Legende geworden: Er hatte eine tragende Wand eingerissen und auf diese Weise den ersten georgianischen Bungalow des
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