0506 - Die Spur der Ratte
und kam mit dem toten Nager näher heran Patricia riskierte einen vorsichtigen Blick hinter den breiten Schultern ihres Butlers hervor. Ihre Gesichtshaut zeigte einen leichten Grünstich.
»Das ist aber mal ein ausgesucht prächtiges Exemplar«, stellte Nicole trocken fest. »Wo haben Sie denn die kaufen können, Raffael? Gute Ratte War sicher teuer!«
William hüstelte vornehm. »Wenn mir erlaubt ist, darauf hinzuweisen, daß es Hundefutter doch in durchaus praktischen Weißblechdosen gibt…«
Zamorra betrachtete die Ratte genauer, die Raffael noch wie vor am halb ausgestreckten Arm pendeln ließ. In gewisser Hinsicht hatte Nicole recht; es war tatsächlich ein ausgesuchtes Prachtexemplar. Zamorra hatte selten so große Ratten gesehen. Nicht einmal in der Straße der Götter oder in Ash’Cant. Dieses Tier war immerhin halb so groß wie eine Katze.
»Wo kommt das Biest her?« fragte er ernst.
»Ich erschlug es im Weinkeller«, sagte Raffael. »Da lief es mir über den Weg. Aber es ist nicht das einzige. Da unten muß es von Ratten nur so wimmeln, dem Rascheln und Pfeifen nach zu urteilen.«
Zamorra und Nicole sahen sich überrascht an. Wie sollten Ratten in die Kellerräume eingedrungen sein? Das Château stand auf gewachsenem Fels, und in diesen Fels waren seinerzeit die Korridore und Kavernen getrieben worden, die ein auch heute noch größtenteils unerforschtes Labyrinth darstellten. Leonardo deMontagne, der die Anlage vor rund tausend Jahren hatte errichten lassen, mußte entweder Leibeigene und Sklaven zu einer geradezu unmenschlichen Schinderei angetrieben haben - was durchaus zu ihm passen würde, denn obgleich er am 1. Kreuzzug unter Gottfried von Bouillon teilgenommen hatte, war er alles andere als ein christlich geprägter Ritter gewesen, sondern hatte sich der Schwarzen Magie verschrieben und galt als Bösewicht par excellence -, oder er hatte eben diese Magie und die Hilfe verbündeter Dämonen und unheiliger Hilfsgeister in Anspruch genommen. War es nur Menschenwerk, so mußte eine ganze Legion von armen Teufeln wenigstens ein Jahrhundert lang in dem massiven Fels gehämmert haben, um dieses gewaltige Labyrinth zu schaffen. Nur ein winziger Teil davon wurde von Zamorra genutzt. Und in einem etwas zurückliegenden Bereich, der lange Jahre völlig unbeachtet geblieben war, waren dann schließlich die Regenbogenblumen entdeckt worden, die unter einer künstlichen Mini-Sonne blühten.
»Vielleicht führen Stollen, die wir noch nicht kennen, irgendwo ins Freie, und die Ratten sind dort eingedrungen«, gab Nicole zu bedenken. »Denn sonst könnten sie nur durchs Hauptgebäude eingedrungen sein - und das wäre natürlich nicht unbemerkt geblieben.«
»Hoffentlich schaffen sie es nicht, ins Haus hinauf zu kommen«, entfuhr es Patricia. »Nicht, daß sie plötzlich in unsere Zimmer kommen und über Rhett herfallen…«
Ihre Sorge war verständlich. Ein erwachsener Mensch konnte sich gegen Ratten zur Wehr setzen; ein Säugling nicht. »Das sehe ich mir an«, sagte Zamorra und nickte Patricia im Vorbeigehen beruhigend zu. »Die untere Kellertür ist immer verschlossen. Es kann also nichts passieren.«
»Und wenn die Biester - wenn sie sich durch die Tür fressen? Die ist doch aus Holz, oder?«
Zamorra lächelte. »So dickes Holz, in vielen Jahrhunderten gehärtet«, sagte er und machte eine Handbewegung, die die Materialstärke andeuten sollte - wenn auch leicht übertrieben. »Da brechen den Biestern eher die Zähne ab, als daß sie sich auch nur einen Zentimeter weit hineinknabbern können.«
Patricia sah nicht besonders überzeugt aus. Aber jetzt zwinkerte ihr auch Nicole zu. »Es kann nichts passieren, egal, woher die Biester gekommen sind. Vielleicht sind es ja auch nur ein paar.«
»Ein paar Dutzend oder ein paar hundert«, unkte Patricia.
»Auch die kriegen wir in den Griff«, versprach Nicole. »Notfalls geht Zamorra mit Merlins Zeitring in die Vergangenheit und bittet den Rattenfänger von Hameln um Unterstützung.«
Von dem hatte die schottische Lady allerdings noch nie etwas gehört. Nicole lächelte ihr noch einmal aufmunternd zu, dann folgte sie Zamorra. »Warte, ich komme mit!«
***
René Barin schnupperte. »Haben Sie getrunken, Doktor? Nein… daran kann es also nicht liegen. Aber. Sie wollen mich auf den Arm nehmen. Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, daß Sie schon wesentlich bessere Scherze gemacht haben. Mit dieser Art von sogenanntem Humor kann ich mich angesichts einer
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