0511 - Der Fluch der Baba Yaga
träger, seiner Besitzerin - ebenfalls auf vier Hühnerbeinen.
***
Stygia hatte sich von ihrem »Kirchgang« wieder einigermaßen erholt. Hinzu kam, daß in einem Ort ganz in der Nähe in dieser Nacht eine Teufelsbeschwörung stattgefunden hatte. Ein Blutopfer war gebracht worden, und Stygia hatte es mit den verbliebenen Resten ihrer Lebenskraft erspürt und die Energie des Blutes für sich abgezweigt; der eigentlich beschworene Teufel erhielt nichts und fuhr, ohne Kenntnis der Hintergründe, deshalb entsprechend erzürnt über seine Anbeter her. Daß es danach ein paar lebende Satansjünger weniger auf der Erde gab, störte Stygia wenig; da hielt sie es mit dem alten Asmodis, dessen Standardspruch bei solchen Gelegenheiten gewesen war: »Mit etwas Schwund muß man immer rechnen.« Und Satanisten wuchsen ständig nach.
Nunmehr konnte Stygia den nächsten Teil ihres großen Planes in Angriff nehmen.
Sie wandte sich nach Griechenland.
In den Morgenstunden materialisierte sie in einer Felsenhöhle. Nur kurz hatte sie mit einem leichten Srhwächeanfall zu kämpfen, aber sie bekam sich rasch wieder unter Kontrolle. Von nun an würde sie keine Kraft mehr verlieren. Die Sache mit dem Lachenden Tod in der Kirche von Bardeluc war der schwierigste und schmerzhafteste Teil ihres Unternehmens gewesen.
Ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit.
»Was willst du?« schnarrte der Wächter und hielt ihr seinen Speer entgegen. »Wer bist du, und warum störst du die Ruhe der Lamia?«
Sie maß den Wächter mit einem anerkennenden Blick. »Du bist mutig, daß du es wagst, dich gegen die Fürstin der Finsternis zu stellen. Doch nun gib den Weg frei, Knecht. Ich bin gekommen, den Schlaf deiner Herrin zu beenden.«
»Sie ist nicht meine Herrin, aber ich schulde ihr einen Dienst«, schnarrte der Unheimliche. Er sah aus wie der leibhaftige Tod; unter der Kapuze seiner schwarzen Kutte erkannte Stygia einen Totenschädel. Langsam senkte er den Speer; Stygia merkte, daß ihm die Waffe ungewohnt war. Dennoch hatte er sie erhoben, um jene zu schützen, die im Sarkophag den Todesschlaf hielt.
Stygia trat an den Steinsarkophag heran. Eine blasse Frau lag mit vor der Brust überkreuzten Armen darin, in ein lang fließendes Gewand gekleidet, das vielleicht einmal weiß gewesen war. Aber die Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hatten es grau werden lassen.
Die Augen der schwarzhaarigen Frau waren geschlossen; der Mund war leicht geöffnet, und zwei lange Eckzähne Jagen frei über der Unterlippe. Vampirzähne!
Stygia beugte sich über die Lamia. Mit der rechten Hand griff sie nach deren Mund, spreizte die Kiefer weit auseinander. Sie sah den Silberling auf der Zunge der Lamia.
Kurz blickte sie zu dem Totenköpfigen. In seinen Augenhöhlen glomm es fiebrig auf; er schien etwas sagen zu wollen, brachte es aber nicht über die Zahnreihen. »Du kannst sie nicht nehmen, Fährmann, nicht wahr«, murmelte Stygia. »Das ist mein Vorteil.«
Sie nahm die silberne Münze mit der linken Hand aus dem Mund der Lamia - und ließ sich einfach neben dem Sarkophag auf den Boden fallen. Der Totenköpfige ruckte vor, erschlaffte dann aber wieder in Resignation.
Stygia lachte leise. Ihr Fuß berührte die Münze, drückte sie tiefer in den Staub. Eine der Münzen, die einst Judas für seinen Verrat erhalten hatte…
Die Lamia öffnete die Augen und schloß den Mund. Sie richtete sich auf und konnte in der Dunkelheit der Höhle so gut sehen wie die Fürstin der Finsternis. »Du hast mich aus dem Schlaf erweckt.«
»Ich habe einen Auftrag für dich. Ich weckte dich, du bist mir verpflichtet, Lamia. Nun höre, was ich von dir verlange.«
»Sprich, Fürstin.«
Und Stygia sprach.
Die Lamia brach in diabolisches Gelächter aus. »Ah, das ist gut. Das ist ein Auftrag nach meinem Geschmack. Auch wenn er ihm«, und sie deutete auf den Totenköpfigen, »nicht gefallen mag. So spute dich, Charon, folge mir -«
Und dann war Stygia allein in der Höhle.
»Es funktioniert«, murmelte sie zufrieden.
Jetzt konnte sie sich dem nächsten, vorletzten Teil ihres Planes widmen.
Aber das brauchte seine Zeit…
***
Der Lachende Tod schritt nordwärts. Er dachte nicht an Stygia, die ihn erweckt hatte. Sie war eine Närrin; sie ahnte nicht, was es bedeutete, ihn aus seiner langen Verbannung in den Stein erlöst zu haben - was es für sie bedeutete. Eines Tages würde sie es erfahren. Dann, wenn er sie mitnahm auf seine Wanderschaft, die einst durch einen
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