0535 - Shironas Nebelgeister
auf andere den Eindruck, als beobachte sie nicht nur, sondern lausche auch einer unhörbaren Stimme.
Schließlich setzte sie sich in Bewegung. Männerblicke folgten ihr bewundernd. Sie war nicht einmal fähig, diese Bewunderung zu genießen.
***
Nicole Duval fand einen etwas hektisch wirkenden Ted Ewigk vor. Von Carlotta, seiner Freundin, war nichts zu sehen; vermutlich befand sie sich in ihrer Stadtwohnung. »Eigentlich«, erklärte Ted, »wollte ich dir weniger zuhören als dich ausnutzen. Ich muß in einer Dreiviertelstunde am Flughafen sein. Wenn du mitkommst, kannst du danach meinen Wagen wieder hierher fahren, und ich brauche ihn nicht für viel Geld am Aeroporte zu parken.«
Er saß auf gepackten Koffern!
Dabei konnte er erst vor ein paar Tagen von einer größeren Reise zurückgekommen sein, denn als Nicole das letzte Mal, allerdings unangemeldet, hier gewesen war, hatte sie die Villa leer vorgefunden.
»Wohin geht's?« wollte sie wissen.
Den Reporter, der sich gleich am Anfang seiner Karriere durch sein Können ein kleines Vermögen erarbeitet hatte und jetzt nur noch aktiv wurde, wenn ihn eine Sache besonders interessierte, schien die Abenteuerlust gepackt zu haben. »Drei Tage Polarkälte! Interviews und ein Live-Bericht über Arved Fuchs und seine jüngste Expedition. Angeblich soll er mit seinem Schiff Schwierigkeiten im Packeis haben. Drei Agenturen zahlen mir für den Bericht insgesamt fast eine Million Mark. Weißt du, welche internationalen Hilfsfonds und Stiftungen ich mit dem Geld bestücken kann? Ich selbst brauche ja nur einen Bruchteil davon… und das ist Grund genug für mich, in die Sache einzusteigen! Anschließend geht es direkt weiter, Richtung Ruanda-Konflikt, zu Radio Gatasha nach Goma. «
»Was ist das?« fragte Nicole.
»Ein von der Aktionsgemeinschaft Reporter ohne Grenzen auf die Beine gestellter Radiosender. Das Gegengewicht zu dem intern ›Radio Kopfab‹ genannten Hutu-Sender, in dem erfundene Schreckensberichte gesendet werden, um die Flüchtlinge zu verunsichern und in Angst zu versetzen. Gatasha heißt Schwalbe der Hoffnung. Unter der Leitung eines deutschen taz -Redakteurs, Michael Rediske, haben sie den Sender in Goma innerhalb von zwei Wochen aus dem Boden gestampft und bringen nun Nachrichten und Musik, und nicht nur in der Amtssprache Französisch, sondern vordringlich in Suaheli und Kiruanda. Dadurch kann's jeder verstehen, der ein Radio hat. Und damit so viele Leute wie möglich informiert werden können und nicht mehr nur hinnehmen müssen, was andere Radiobesitzer über die Schauermärchen von ›Radio Kopfab‹ weitererzählen, werden auch jede Menge Radioempfänger verteilt. Über zehntausend, alles Spenden, sollen weiträumig verteilt werden. Und für zwei oder drei Wochen, so genau weiß ich das noch nicht, bin ich auch da unten mit dabei. Schließlich gehöre ich selbst zu den Reportern ohne Grenzen . Nebenher ein paar Hintergrundrecherchen über Radio Gatasha und die Situation in den Flüchtlingslagern, aber keine Sensationsberichte. Natürlich miserabel bezahlt im Gegensatz zur Haiti-Story, mit der mich eine Agentur ködern wollte, aber da ich keine Lust habe, der im Golfkrieg bestens erprobten Zensur der US-Militärs zu unterliegen, überlasse ich das den anderen. Für meine Mithilfe beim Radio Gatasha -Betrieb bekomme ich übrigens kein Geld. Kassiere oder stirb… das ist schon lange nicht mehr mein Weg.«
Nicole hatte stumm zugehört und nickte jetzt; was Ted erzählte, gefiel ihr. Sie lächelte.
»Auf der Fahrt zum Flughafen erzähle ich dir dann genau, was ich eigentlich von dir will«, versprach sie. »Äh, sag mal, warum nimmst du kein Taxi und läßt das Auto gleich hier stehen?«
Ted lachte leise auf.
»Es ist Nacht, und die Straßen sind endlich mal einigermaßen frei und befahrbar. Himmel, wenn ich wochenlang nur in Taxen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, will ich auch mal wieder selbst mit dem Auto durch Rom fahren. Nachts geht das wenigstens noch zügig und macht auch einigermaßen Spaß! So kann ich das Schöne mit dem Praktischen verbinden. Denn einfach nur so zum Spaß in der Gegend herumfahren will ich auch nicht. Das kostet Benzin und produziert überflüssige Abgase.«
Nicole nickte. Gerade Ballungszentren wie Rom konnten ein Lied von überflüssigen Abgasen singen. Die Lebensqualität war in den letzten zwanzig Jahren drastisch gesunken, und die aggressiven Rückstände, die aus Fabrikschloten,
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