062 - John Flack
Verbrechens«, sagte er nachdrücklich, beinahe dramatisch.
»Des Verbrechens?«
Er nickte.
»Das ist eine meiner Liebhabereien. Ich bin ein reicher Mann und kann mir Liebhabereien gestatten. Das Haus hier ist auch eine davon. Ich verliere jährlich ungefähr viertausend Pfund daran, aber das macht mir nichts aus. Ich suche mir meine Gäste aus. Wenn mich einer langweilt, sage ich ihm, daß er gehen muß - daß sein Zimmer anderweitig vergeben ist. Könnte ich das mit meinen Freunden oder Bekannten so machen? Sicherlich nicht. - Die Leute interessieren mich, füllen mein Haus, leisten mir Gesellschaft und amüsieren mich. Wann treten Sie an?«
»Ich denke . . .« Sie zögerte.
»Montag in acht Tagen. Ausgezeichnet!« Er schüttelte ihr kräftig die Hand. »Sie brauchen sich hier nicht einsam zu fühlen. Wenn meine Gäste Ihnen langweilig werden, laden Sie Ihre eigenen Freunde ein. Sie können als Gäste meines Hauses kommen. Also bis Montag!«
Sie ging den Gartenweg zu dem wartenden Chauffeur hinunter, verwirrt und unentschlossener denn je.
»Haben Sie die Stelle erhalten, Miss?« fragte der freundliche Mann.
»Ich glaube, ja«, entgegnete Margaret.
Sie warf einen Blick zurück auf Larmes Keep. Die Rasenplätze waren verlassen, aber dicht in der Nähe sah sie die Gestalt einer Frau auftauchen, nur für einen kurzen Augenblick, dann verschwand sie wieder hinter einem Gürtel von Lorbeerbäumen, der parallel mit der Umfassungsmauer des Grundstücks lief. Es führte ein wenig betretener Fußweg durch die Büsche. Margaret erkannte Mrs. Burton. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und stolperte blindlings vorwärts, und zu seinem Erstaunen hörte das junge Mädchen, wie sie schluchzte.
»Das ist die Haushälterin - sie ist etwas übergeschnappt«, sagte der Chauffeur gelassen.
2
George Ravini war kein häßlicher Mann. Seiner eigenen Meinung nach, die natürlich voreingenommen war, war er mit seinem kurzgelockten, braunen Haar, seinen schönen napoleonischen Gesichtszügen, seiner schlanken Gestalt und guten Haltung außerordentlich anziehend. Und wenn zu seinen natürlichen Vorzügen noch der beste Anzug, den Savile Row liefern konnte, der fleckenloseste aller grauen Hüte, die glänzendsten aller Lackschuhe und die feinsten Seidensocken hinzukamen, dann war der schöne Mann würdig eingerahmt. George Ravini war abergläubisch und hatte eine große Vorliebe für Amulette. Den kleinen Finger seiner rechten Hand schmückten drei goldene Ringe, und jeder Ring trug drei große Diamanten. Ravinis Glücksringe waren in Saffron Hill sprichwörtlich geworden. Gewöhnlich trug er das halb amüsierte, halb gelangweilte Lächeln eines Mannes zur Schau, für den das Leben keine Geheimnisse mehr barg und dem es auch nichts Neues mehr bringen konnte. Und dies Lächeln war zum Teil gerechtfertigt, denn George wußte so ziemlich alles, was in London vorging oder was sich möglicherweise ereignen konnte.
In einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Saffron Hill hatte er das Licht der Welt erblickt, hatte den engen Horizont, der seine Kindheit umgab, erweitert und sich heraufgearbeitet. Aus dem Arme-Leute-Kind, das sein Lager mit dem dressierten Affen seines Vaters teilen mußte, war ein eleganter Kavalier geworden. Er war der Inhaber einer vornehmen Wohnung in der Half Moon Street, und nicht nur Inhaber der Wohnung, sondern auch Besitzer des Blocks, in dem diese sich befand. Sein Guthaben auf der Continentalbank war sehr zufriedenstellend; er besaß Hypotheken, die ihm mehr als er nötig hatte, einbrachten; ein noch größeres Einkommen gewährten ihm die beiden Nachtklubs und Spielhäuser, die unter seiner Leitung standen, ganz abgesehen von den Nebenverdiensten, die ihm von den verschiedensten Quellen zuflossen. Ravinis Wort war Gesetz von Leyton bis Clerkenwell, seinen Befehlen wurde im Fitzroy Square unbedingt Folge geleistet, und kein anderer Bandenführer in London hätte sich erlauben können, sein Haupt ohne Georges Einwilligung zu erheben. Er wäre Gefahr gelaufen, eines Tages schön bandagiert im ›Saal der Unglücksfälle‹ im Middlesex-Krankenhaus aufzuwachen.
George Ravini wartete geduldig in der großen Halle des Waterloo-Bahnhofs, sah von Zeit zu Zeit auf seine goldene Armbanduhr und betrachtete mit wohlwollenden und gönnerhaften Blicken den verbeiflutenden Strom des Lebens.
Die Bahnuhr zeigte ein Viertel nach sechs; er blickte noch einmal auf seine Uhr und musterte dann die Menge, die vom Bahnsteig
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