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0696 - Horror aus dem Eis

0696 - Horror aus dem Eis

Titel: 0696 - Horror aus dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Der alte Mann wand sich im Schlaf.
    Seine Träume führten ihn zurück in die tote Stadt. Er ging durch die schmalen, leeren Gassen, bis er den Palast erreichte und die Marmorstufen emporstieg.
    Der Traum war wie ein Ritual, das sich immer und immer wieder ohne die kleinste Veränderung abspielte.
    Der alte Mann stieß die breiten Türen auf, so wie er es jedes Mal tat. Seine Schritte hallten durch die dunklen Gänge.
    Es war niemand da, um ihn aufzuhalten, niemand, der nach seinem Auftrag fragte, als er den Thronsaal betrat und im Angesicht seines Herrn niederkniete.
    »Agkar von den Tulis-Yon verneigt sich vor eurer Macht, Herr«, sagte er die traditionellen Worte. »Möge der weiße Mond ewig über eurem Haupt leuchten.«
    Seit langer Zeit hatte sein Herr nicht auf diese Begrüßung geantwortet und er tat es auch heute nicht.
    »Ich erwarte eure Befehle, Herr«, setzte Agkar das Ritual fort. Er wartete einige Minuten, so wie es von ihm erwartet wurde, aber es blieb still in dem großen Saal.
    Wie immer.
    Der alte Mann neigte den Kopf. »So werden die Tulis-Yon weiter ausharren und auf den Tag warten, an dem Ihr neue Wünsche an uns richtet. Möge -«
    »Agkar…«
    Der Tulis-Yon zuckte zusammen. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehört?
    »Herr«, flüsterte er erwartungsvoll.
    »Agkar, in diesem Traum spreche ich zu dir und den Tulis-Yon, die du um dich geschart hast. Versammle sie zu einer mächtigen Armee. Euer Befehl lautet, den Hong Shi, den ihr so lange treu bewacht habt, zu mir zu bringen.«
    Die Stimme atmete langsam ein. Es klang wie der Seufzer eines Sterbenden.
    »Ich erwache, Agkar von den Tulis-Yon. Schon bald werden wir uns in der wirklichen Welt begegnen.«
    Der alte Mann presste die Stirn gegen den kalten Marmor. »Wir alle sehnen diesen Tag herbei, Herr.«
    Er spürte, dass die Audienz beendet war, und rutschte auf Knien rückwärts aus dem Thronsaal. Die schweren Türen schwangen wie von Geisterhand hinter ihm auf, aber der alte Mann machte sich nicht die Mühe, den Weg bis zu Beginn des Traumes zurückzugehen. Stattdessen schlug er die Augen auf.
    »Er hat zu mir gesprochen«, sagte er.
    Seine Tochter Joamie, die am Feuer saß, sah ihn an.
    »Wer?«, fragte sie.
    Der alte Mann lächelte. »Unser aller Herr. Kuang-shi.«
    ***
    Sergeant Robert Tagak bremste das Schneemobil ab und sah hinaus auf die glitzernde weiße Fläche. Selbst hinter den spiegelnden Gläsern seiner Sonnenbrille spürte der Polizist die gleißende Helligkeit, die seine Augen zum Tränen brachte.
    Im arktischen Winter war die Sonne zwar nur eine Stunde lang zu sehen, aber es schien, als wolle sie mit ihrer Intensität die fehlende Zeit wettmachen.
    Tagak stellte den Motor ab. Stille senkte sich über die karge Landschaft.
    Um ihn herum gab es nichts außer Eis, Schnee und von bräunlichem Moos bedeckte Felsen, deren kahle Oberseite vom Wind glattpoliert wurde. Die Felsen flachten nach Süden hin ab und endeten in einer schier unendlichen Eisfläche.
    Darunter befand sich das Wasser des Nordmeers, aber es würde noch mehrere Monate dauern, bis es die harte Kruste durchbrach und wieder gegen die Felsen schlug.
    Bis dahin erinnerte nichts außer einem schmalen Pier, der ins Eis hinausragte, und einem mit einer Plane verdeckten Boot daran, dass es hier noch etwas anderes gab als eine weiße Wüste.
    Es gibt wohl keine Landschaft auf diesem Planeten, die sich im Winter stärker verändert, dachte Tagak, während er seine Schneeschuhe überstreifte und zu einem kleinen steinernen Haus ging dessen graue Farbe sich kaum von den Felsen abhob.
    Wie die meisten Häuser auf Baffin Island war es flach gebaut, um dem eisigen Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten. Kein Stromkabel und keine Telefonleitung führte zu dem Gebäude.
    Der einzige Kontakt zur Außenwelt war eine lange Funkantenne, die aus dem Dach herausragte und sich in den Böen bog. Mit ihrer Hilfe hatte Rose Ayalik, die dieses Haus zusammen mit ihrem Mann Hank bewohnte, vor weniger als einer Stunde die Station der RCMP in Iqaluit kontaktiert.
    Tagaks Schneeschuhe rutschten über einen im Schnee verborgenen Gegenstand. Der Polizist stolperte, fing sich aber im letzten Moment.
    »Scheiße«, fluchte er leise, als er die leere Bourbonflasche sah, die halb aus dem Schnee herausragte.
    Im letzten Sommer hatte die Müllkippe rund um das Haus der Ayaliks erst zwanzig Meter weiter begonnen. Tagak hatte geahnt, dass sie sich seitdem ausgedehnt haben musste, und deshalb

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