07 - komplett
keinen Gehrock und hatte seine Brokatsamtweste nicht zugeknöpft. Das Krawattentuch war gelockert, und eine goldblonde Locke seines zerzaust wirkenden Haares fiel ihm in die Stirn. Er blickte ebenso benommen, wie sie sich fühlte.
„Verzeihen Sie, ich habe ...“ Er brach ab, als sie den Schleier hob, um ihr Gesicht zu enthüllen.
„Meine Schwester ist mit deinem Cousin durchgebrannt“, brach es aus Mary heraus.
„Ich benötige deine Hilfe.“
Dominick presste die Lippen zusammen, ein Muskel zuckte in seiner Wange. „In diesem Fall kommst du wohl besser herein.“
Mary nickte und trat über die Schwelle, die Hände in ihrem Muff fest ineinander verschränkt. Er schloss die Tür, und sie überkam der heftige Drang, zu fliehen, als ob sie durch das Verlassen dieses Hauses all ihre neu erwachten, verwirrenden Gefühle für ihn hinter sich lassen könnte. Er war jedoch der Einzige, der ihr in dieser Situation helfen konnte. Und wenn sie ehrlich zu sich war, dann musste sie sich eingestehen, dass sie eigentlich gar nicht gehen wollte.
„Es tut mir leid, ich habe den Dienstboten heute freigegeben“, erklärte er. „Daher wirkt mein Haus wohl ein wenig desolat. Komm bitte mit in die Bibliothek. Dort ist es wärmer.“
Während er ihr voran durch den schmalen Flur ging, schloss er die Knöpfe seiner Weste und strich sich das Haar zurück. Der goldene Siegelring an seinem Finger glitzerte im dämmrigen Licht.
Mitgegangen, mitgehangen, dachte Mary. Dies pflegte ihr Kindermädchen immer zu sagen, als sie noch ein kleines Mädchen war.
In der Bibliothek war es tatsächlich wärmer und auch gemütlicher als in der karg eingerichteten Halle. Smaragdgrüne und rubinrote Teppiche lagen auf dem Parkettboden, und vor den Fenstern hingen dunkelgrüne Samtvorhänge. Auf dem Schreibtisch stand ein Leuchter, und im Kamin prasselte ein Feuer, das die Kälte abhielt und sein warmes Licht auf die Bücher in den Regalen an den Wänden warf.
Vor dem Kamin standen offene Kisten, die Dominick wohl gerade hatte auspacken wollen.
„Ich weiß nicht, wie man Tee bereitet“, sagte er mit bedauerndem Lächeln. „Ein Glas Brandy könnte ich dir allerdings anbieten. Vermutlich findest du daran aber keinen Geschmack.“
„Oh, Brandy erscheint mir in dieser Situation genau das Richtige zu sein.“ Mary legte ihren Muff und die Handschuhe auf den Tisch und löste die Bänder ihres Hutes.
„Dann sollst du ihn auch bekommen.“ Er schenkte eine großzügige bemessene Menge der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in zwei Gläser und reichte ihr eines davon.
Als sie das Glas entgegennahm, streifte seine Hand leicht die ihre, warm und stark und seltsam beruhigend.
Mary nahm einen großen Schluck und genoss das Brennen in ihrer Kehle. Es gab ihr neuen Mut, wenngleich sie wusste, dass diese frisch gewonnene Courage nicht dem entsprach, was sie im tiefsten Inneren ihres Herzens empfand. „Ja, das war eindeutig das Richtige“, sagte sie.
„Es freut mich, wenn ich dir zu Diensten sein konnte. Bitte, setz dich ans Feuer und erzähle mir, was geschehen ist. Seit wann vermisst du deine Schwester?“
Das Glas fest in den Händen haltend, sank Mary auf den Stuhl, den er ihr zurechtgerückt hatte. Als er ihr gegenüber Platz nahm, sah sie, dass er seinen Brandy kaum angerührt hatte.
„Sie muss irgendwann gestern Abend gegangen sein“, sagte sie und trank einen weiteren Schluck. „Sie kam nicht zum Dinner herunter. Ich dachte, sie schmollt mal wieder, aber wahrscheinlich war sie mit Packen beschäftigt. Weißt du, wann Captain Heelis das Haus verlassen hat?“
Dominick schüttelte den Kopf. „Ich habe Arthur seit gestern früh nicht mehr gesehen. Er war nicht hier, als ich nach dem Besuch im Museum nach Hause kam.
Allerdings ist dies nichts Ungewöhnliches. Er verlässt oft unverhofft das Haus.“
„Vermutlich immer dann, wenn es Ginny möglich ist, sich heimlich mit ihm zu treffen.“
„Weißt du, was die beiden vorhaben?“
Mary blickte niedergeschlagen in ihr Glas. „Ginny schrieb, sie wollen nach Gretna Green. Bevor ich zu dir kam, habe ich ihre beste Freundin Angelica Quickley aufgesucht. Nach eindringlichem Zureden verriet sie mir schließlich, dass Ginny und Captain Heelis aufgrund des unvorhersehbaren Wetters weitgehend der Great North Road nach Schottland folgen wollten. Ich wollte versuchen, diese Eskapade geheim zu halten, aber ...“
„Aber es könnte Gerüchte geben, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiten“, sagte
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