0730 - Der unheimliche Todesengel
wieder einmal gestiegenen Preise. An einem warmen Sommertag hätten sie bestimmt noch lange geschwatzt, jetzt aber war es ihnen zu kalt, und sie verschwanden schnell in ihre Häuser.
Es wurde wieder still.
Dazu konnte sich Suko nur beglüccwünschen. Er setzte seinen Weg fort und hatte sich auch daran gewöhnt, daß die Stufen der Leiter oftmals kratzten und schwankten.
Er schaute hoch.
Flatternd lösten sich einige Tauben von der Dachrinne. Sie segelten zu einem anderen Dach hinüber und ließen sich dort nieder, als hätten sie Furcht davor, auf dem ersten Platz zu bleiben. Spürten die Tiere das Unheimliche, das Ungewöhnliche?
Suko dachte an den Schatten.
Er hatte ihn in der letzten Nacht ja nur für einen winzigen Moment gesehen, doch er war davon überzeugt, daß es ihn gab und sich die Studentin nichts eingebildet hatte.
Mordende Schatten gab es, das wußte er. Aber sie waren niemals gleich. Es steckte immer etwas anderes hinter ihnen. In diesem Fall wohl ein dämonischer Götze, denn wegen Götzenbetrug und dem Abhalten Schwarzer Messen waren die Viracochas ja vorbestraft.
Das gefiel Suko überhaupt nicht. Wer so etwas tat, der nahm auch keine Rücksicht. Der näherte sich brutal und grausam seinem Ziel. Menschenleben zählten für ihn nicht.
Suko erreichte die für ihn wichtige Plattform und hockte sich darauf nieder.
Das rostige Metallgebilde befand sich in der Mitte zwischen zwei normal großen Fenstern, deren Scheiben schmutzig waren.
Suko mußte sich schon recken und ein Bein vorschieben, damit er sich mit dem Fuß auf einer Fensterbank abstützen konnte, wenn er nahe genug an die Scheibe herankommen wollte.
Die Plattform ächzte und schwankte auch, als sich der Inspektor bewegte. Sein Gewicht verlagerte er auf die linke Seite, streckte das Bein aus, fand auch auf der Fensterbank Halt und löste sein rechtes Bein ebenfalls von der Plattform, wobei er die Leiter etwas näher zu sich heranzog.
Die Haltung erlaubte ihm kaum Bewegungsfreiheit, aber er konnte durch das Fenster blicken.
In der Scheibe spiegelte sich zum Glück kein Sonnenlicht, so daß seine Sicht relativ gut war.
Suko mußte sich trotzdem konzentrieren. Und er hatte mit seiner Vermutung recht behalten. Hinter dem Fenster lag tatsächlich ein kleines Bad.
Da war eine Dusche vorhanden, eine Badewanne ebenfalls, ein Schrank, ein Regal, auf dem sich Handtücher stapelten. Alles sah so völlig normal aus, da wirkte nichts gefährlich, und er konnte sich auch nicht vorstellen, daß sich in diesem Raum eine Gefahr verbarg.
Er zog sich wieder zurück.
Die alte Leiter knarrte und quietschte wieder. Suko mußte achtgeben und sehr vorsichtig zu Werke gehen. Tief atmete er durch, als er auf der Plattform stand.
Mit einer Hand wischte er durch sein Gesicht. Trotz der Kälte war ihm warm geworden. Blieb noch das Fenster rechts von ihm. Vielleicht lag dahinter eine Abstellkammer. Für einen normalen Raum war es viel zu klein. Er turnte wieder. Schon einmal Routine, gelang es ihm hier schneller, ans Ziel zu kommen.
Wieder stützte sich Suko auf der Fensterbank ab. Was hinter der Scheibe war, konnte er nicht erkennen. Nicht etwa, weil die Scheibe zu schmutzig gewesen wäre, es lag allein an dem Raum, der so etwas wie eine andere Welt war.
Leider besaß sie keine sichtbaren Konturen, denn die Umrisse verschwanden in einer grauen Wolke aus Nebel…
***
Janina Ferry hatte sich nicht bewegt. Ihre Augen standen weit offen. Auch das Ehepaar zuckte mit keiner Wimper. Alle drei Personen wirkten wie Marionetten, die darauf warteten, daß die Spieler endlich an den Fäden zogen, um sie in Bewegung zu setzen.
Die Zeit schien festgefroren zu sein. Sie war erstarrt, alles wirkte so anders, so gläsern, völlig aus der Wirklichkeit herausgezogen und als Bild in eine andere Welt gemalt.
Die Studentin dachte darüber nach, daß die beiden über einen Gott oder einen Götzen gesprochen hatten. Sie studierte Religionswissenschaften und hatte sich deshalb mit gewissen Randerscheinungen beschäftigt, natürlich auch mit dem Sektentum. Deshalb war ihr bekannt, daß es Menschen gab, die fremde Götter und Götzen anbeteten, wobei es oft die schlimmsten Gestalten waren, die von ihnen verehrt wurden.
So auch hier.
»Nun?«
Juana hatte das eine Wort gesprochen. Es zerbrach die lastende Stille, und die Studentin drehte den Kopf. »Was hat das zu bedeuten?« hörte sie sich flüstern. Es klang so, als hätte eine Fremde gesprochen. »Wie kann man einen
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