0733 - Ort des Schreckens
spürte den Druck hinter seinen Augen. Ihm war, als hätte ihn eine ferne Botschaft erreicht.
Die Stille wurde zur Last.
Hugo Westlake bewegte seinen Kopf nicht, sondern nur die Augen, als er nach links schielte und dabei in das starre Gesicht der Susan Carter schaute.
Es war soweit.
Er konnte beginnen.
Westlake drückte seinen Kopf zurück. Er öffnete den Mund. Gleichzeitig spürte er die Kälte in sich und das dumpfe Brausen in seinem Kopf wie eine ferne Botschaft.
Er zitterte.
Etwas kam auf ihn zu. Der Druck veränderte sich zu einem Sog, den nur er spürte, und er hörte auch das unheimliche und hohl klingende Pfeifen, das diesen Sog auf seinem Weg zum Ziel begleitete.
Plötzlich verlosch das Licht!
Die Scheinwerfer schienen mit einemmal explodiert zu sein.
Dunkelheit!
Nur für einen Moment, der Westlake aber irre lang vorkam. In dieser kurzen Zeitspanne schien etwas über ihm zusammenzubrechen, das er wie den Teil eines Weltalls ansah. Er hörte das Pfeifen, der Sog zerrte auch an ihm, und weit im Hintergrund schien jemand auf einer knöchernen Flöte zu spielen.
Vorbei!
Das Licht strahlte wieder auf.
Es war genau getimt worden, das Personal reagierte ausgezeichnet, und der Erfolg war da.
Mister Mirakel stand allein auf der Bühne.
Die schwebende Jungfrau war verschwunden!
***
Sekundenlang hatte er das Gefühl, in einem Vakuum zu stehen. Er reagierte überhaupt nicht und konzentrierte sich auf die Schweißtropfen, die in langen Bahnen an seinem Körper herabrannen, als wollten sie bestimmte Adern nachzeichnen.
Er hielt die Augen geschlossen. Das leichte Schwanken überkam ihn nicht immer, sondern nur dann, wenn ES geschah. Hugo glaubte auch daran, daß ES ihn berührt hatte, um ihm eine gewisse Warnung zukommen zu lassen.
Aber das waren Spekulationen. Die Wirklichkeit sah anders aus, und er hatte den Entschluß gefaßt, sich ihr zu stellen.
Eine gewaltige Welle erfaßte ihn und trug ihn mit einem tosenden Geräusch weg. Der Illusionist hatte das Gefühl, zu schweben und den Kontakt mit dem Bühnenboden zu verlieren.
Es war keine Woge, es war das Geräusch des tosenden Beifalls und der darin eingeschlossenen Schreie und Pfiffe, das ihn erwischte und wegtragen wollte.
Hätte es ihn mal weggetragen in eine andere Welt, in der es nicht diesen Schrecken gab wie in dieser. Das aber war nicht möglich. Westlake stand mit beiden Beinen auf dem Bühnenboden und mußte sich den Tatsachen stellen.
Er ging vor.
Nach dem ersten Schritt schon hatte er die Stelle erreicht, wo noch vor kurzer Zeit die Frau geschwebt hatte. Sie war nicht mehr da, nur der Messingring lag noch wie verloren auf dem dunklen Bühnenboden. Westlake war in diesen Momenten übersensibilisiert. Er schmeckte den aufgewirbelten Staub auf seinen Lippen, er nahm die Gerüche viel intensiver wahr als sonst, und sie strömten ihm aus dem Zuschauerraum entgegen, um ihn wie Aromawolken zu umwehen.
Es war wie immer.
Nein, es war schlimmer.
Es war die verdammte Ausnahme, und er war froh, Vorsorge getroffen zu haben.
Am Rand der Bühne blieb er stehen. Sein strahlendweißes Hemd klebte ihm auf der Haut. Überhaupt kam er sich vor, wie mit Leim bestrichen, und als er die Arme ausbreitete, steigerte sich der Beifall zum Orkan. Nicht nur das. Die Zuschauer waren reinweg aus dem Häuschen. Das Licht auf der Bühne war nicht länger als eine oder zwei Sekunden verloschen, und nun gab es die schwebende Jungfrau nicht mehr.
Niemand konnte es fassen. In einer derartig kurzen Zeitspanne konnte man sie nicht verschwinden lassen.
Doch, man konnte, das wußte Westlake sehr genau. Man mußte mit Spiegeln arbeiten, das war auch hier geschehen, dafür hatte er einen Assistenten, und trotzdem war es an diesem Abend anders gewesen. Da hätten ihm auch keine Spiegel geholfen.
Er war so stark in seine Gedanken versunken, daß er kaum mitbekam, wie er sich verbeugte. Normalerweise hätte jetzt die Verschwundene lächelnd und tänzelnd erscheinen müssen. Er hoffte auch darauf, drehte den Kopf, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Susan Carter tauchte nicht mehr auf.
Sie würde auch den ganzen Abend über nicht kommen, das wußte er, und er mußte es hinnehmen.
Auch am nächsten Tag nicht und nicht am übernächsten. Es war einfach zu schlimm.
Es blieb nicht nur beim normalen Beifall. Die Zuschauer waren hingerissen. Sie standen auf. Die in der ersten Reihe machten den Anfang, dann erhoben sich die in der zweiten, danach die in der
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