0759 - Werwolf-Wahnsinn
»Könnte es dann sein, daß du der Insel einen Besuch abstatten willst und dich damit direkt in die Höhle des Löwen begibst?«
Wladimir legte die Stirn in Falten. »Das wäre natürlich eine Möglichkeit.«
»Die aber lebensgefährlich ist«, sagte Oleg schnell.
»Richtig.«
»Bist du lebensmüde?«
»Nein, das bin ich nicht. Das bin ich auf keinen Fall, und ich habe auch schon nachgedacht. Es steht für mich fest, daß man hier etwas unternehmen muß, und ich weiß auch, daß es für einen einzelnen Menschen sehr schwierig sein wird. Ich will dich nicht beleidigen, Oleg, aber ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich in den Fall direkt hineinziehe und dir etwas passiert. Wie stünde ich vor deiner Frau Irina da?«
»Manche Dinge sind eben Männersache, Wladimir. Das war schon immer so, und das wird auch immer so bleiben. Trotz des großen Geschreis mancher Emanzen.«
»Da hast du recht. Trotzdem, es muß ja nicht sein.« Der Russe lächelte. »Manchmal gibt es andere Lösungen.«
Blochin horchte auf. »Wenn ich dich so reden höre, habe ich den Eindruck, als wäre dir schon etwas eingefallen. Habe ich recht, oder liege ich verkehrt?«
»Nun, ich spiele mit einem Gedanken.«
»Sag ihn!«
»Um den Schrecken wirksam bekämpfen zu können, benötige ich Verstärkung.«
Blochin überlegte. Sehr laut holte er Luft. »Das ist natürlich ein Hammer. Aber wer würde so verrückt sein und sich einen derartigen Kampf aufbürden, wo er nicht sicher sein kann, daß er ihn gewinnt?«
»Es gibt einige Leute.«
»Sicher, ich kenne ja dich.«
»Nicht nur mich. Ich bin ja auch durch einen guten Freund an diesen Job gekommen.« Wladimir lachte bitter, denn er dachte daran, daß er nach der Auflösung des KGB im luftleeren Raum schwebte und nicht wußte, wie es weitergehen würde.
»Mit dem Freund hast du noch Kontakt?«
»Ja.«
»Wo lebt der denn?«
»In England, in der Hauptstadt London.«
Blochin überlegte sich die Antwort. »Das ist verdammt weit weg, meinst du nicht auch?«
»Es geht.«
»Und deinen Freund willst du holen?«
Wladimir stand auf. Er drückte seine Hände gegen die Hüften und streckte den Körper. »Ich werde es zumindest versuchen«, murmelte er und warf noch einen letzten Blick auf die Leichenhalle, bevor er sich abwandte und dem Dorf entgegenschritt.
Oleg Blochin folgte ihm wesentlich langsamer…
Auch gegen Abend war es kaum kühler geworden. Daß sich Wladimir Golenkow trotzdem wohl fühlte, lag allein an der Tatsache, daß er es trotz gewaltiger Schwierigkeiten geschafft hatte, den Geisterjäger John Sinclair zu erreichen.
John war sein Freund, und er wußte genau, daß Wladimir nicht grundlos anrief. Sinclair hatte ihm versprochen, so schnell wie möglich zu erscheinen, und Wladimir hatte ihm geraten, es mit dem Zug zu versuchen. Das war noch immer am sichersten. Wladimir würde John am Bahnhof abholen.
Es war eine wirklich vorsintflutliche Telefoniererei gewesen, da hätte man auch trommeln oder eine Brieftaube schicken können, aber er wollte sich nicht beschweren, denn letztendlich hatte es ja geklappt, und auf John Sinclair konnte er sich zudem verlassen. Wenn der versprochen hatte zu kommen, würde er das Versprechen einhalten, auch wenn es Backsteine regnete.
Wladimir Golenkow wohnte zwar bei Blochin, aber trotzdem nicht direkt bei ihm. An der rechten Seite des Blochinschen Hauses schmiegte sich ein schmaler Anbau an, der leer stand. Die obere Etage bestand aus drei kleinen Räumen, dort hatte es sich Wladimir bequem gemacht und darum gebeten, allein gelassen zu werden, denn er wollte noch über den Fall nachdenken, was nur die halbe Wahrheit war, doch die ganze brauchte Oleg nicht zu wissen.
Eine Dusche gab es nicht. Wer sich waschen wollte, mußte eine Etage tiefer. Dort hatte Blochin eine Waschküche eingebaut, die immer sehr kühl war. Noch kälter war das Wasser, beinahe schon eiskalt, in das Wladimir gestiegen war, um sich abzukühlen. Es hatte ihm gutgetan, und als er sich mit dem kantigen Stück Kernseife seinen Körper eingeseift hatte, da hatte er den Eindruck gehabt, auch den Gestank der alten Leichenhalle abzuwaschen.
Jetzt fühlte er sich wohler, stand am Fenster und schaute über die meisten Dächer der Häuser weg oder auch an ihnen vorbei. Der Abend war bereits ziemlich weit fortgeschritten, bald würde es dämmern, und dann wollte Wladimir das Haus heimlich verlassen.
Er hatte sich schon längst einen Plan zurechtgelegt. Ihn interessierte der See,
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