0759 - Werwolf-Wahnsinn
hervor und überreichte mir die Waffe.
»Danke«, sagte ich.
Golenkow atmete tief durch, als er sich aufrichtete. Wir sahen beide erschöpft aus. Wir waren in die Hölle hineingestoßen und hatten überlebt.
Wieder einmal, muß ich sagen. Aber diesmal hatte wir verdammt großes Glück gehabt.
»Du weißt, John, daß es wahrscheinlich noch ein Problem gibt?« fragte mich der Russe.
»Ja, ich…«
Zu erklären gab es nichts. Wir hörten es selbst. Zuerst das Kratzen, dann das Stöhnen und anschließend das schaurige Jaulen, das dieses unheimliche Gewölbe durchwehte und uns einen Schauer über die Körper trieb.
Gemeinsam drehten wir uns auf der Treppe stehend herum. Wir schauten nur in eine Richtung.
Irina hatte sich erhoben. Sie hielt sogar ihr Schwert fest, aber sie war nicht mehr die gleiche.
Auf ihrem hellen Gesicht wuchs das Fell wie ein Schatten, und ihr Mund war zu einem Maul der doppelten Größe geworden.
Der Biß hatte gefruchtet, sie war zu einer Werwölfin geworden!
***
Als Wladimir Golenkow neben mir stöhnte, da wußte ich, woran er dachte. Bestimmt an die Familie, die er hatte erlösen müssen, und ich wollte ihm eine derartige Tat nicht noch einmal aufbürden.
»Ich werde gehen«, sagte ich.
»Danke.« Er drückte für einen Moment meine freie linke Hand, denn in der rechten hielt ich die Beretta.
Ich ging wie ein Traumwandler die Stufen hinab. Dabei hielt ich den Kopf nach links gedreht, weil ich Irina keinen Moment aus den Augen lassen wollte.
Sie hatte sich nicht nur im Gesicht verwandelt, auch die Haare sahen nicht mehr so aus wie sonst.
Sie waren zu einem struppigen Fell geworden, das ihren Kopf zu beiden Seiten umhing, und die hatten auch die Locken verloren.
Sie war verletzt, was ich kaum noch sehen konnte, weil den Körper ebenfalls ein dünner Pelz bedeckte. An die Farbe ihrer Augen konnte ich mich nicht erinnern, jetzt aber sahen sie anders aus, so grausam und eisig, ohne Erbarmen und Menschlichkeit.
Ich hatte die Treppe mittlerweile hinter mir gelassen und dachte daran, daß in diesem Fall wohl alle Beteiligten verloren hatten, uns einmal ausgenommen.
Es gab keine Hoffnung mehr.
Höchstens für die Menschen im Dorf, die von einer schrecklichen Plage befreit worden waren.
Meine Schritte klangen laut in der Stille. Ich wollte auch nicht leise gehen, Irina sollte auf mich aufmerksam werden, und sie hatte sich bereits gedreht.
Wir gingen aufeinander zu.
Wie ein Showdown im Western, dachte ich. Nur daß sie mit einem Schwert bewaffnet war. Sie atmete auch nicht mehr, sondern keuchte nur noch, und ihre Bewegungen wurden mit jedem Schritt, den sie zurücklegte, geschmeidiger.
Jetzt kroch eine magische, unheimliche Kraft in ihren Körper, die ich nicht zur Entfaltung kommen lassen durfte.
Deshalb blieb ich stehen und hob die Waffe.
Für einen Moment stutzte sie, war irritiert, konnte wohl nicht glauben, was sich da vor ihr abspielte.
Wußte sie Bescheid?
»Tu es, John!«
Wladimir hatte gesprochen. Er wollte wohl nicht, daß ich es noch länger hinauszögerte.
Er hatte recht, verdammt!
Als Irina wieder einen Schrei ausstieß, um sich selbst anzutreiben, peitschte in diesen Ruf hinein der Schuß.
Ich hatte sie exakt getroffen.
Sie kippte zurück und blieb liegen. Ich ging nicht einmal hin, um nachzuschauen.
Das übernahm Wladimir Golenkow für mich.
Ich setzte mich statt dessen auf die unterste Stufe der Treppe und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Irgendwo war mir zum Heulen zumute. Doch tief im Innern spürte ich auch die Erleichterung darüber, wieder einmal davongekommen zu sein.
So war mein Leben eben. Es bot immer wieder neue Überraschungen, wobei die wenigsten zu den freudigen zählten…
ENDE
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