0838 - Wo die Angst zu Hause ist
mich aus seinen wasserhellen Augen an. Er sprach nicht, sein Blick reichte mir allerdings. Er erklärte mir, daß ich mich in die Höhle des Löwen begeben hatte und es an dem Löwen selbst lag, ob und wann ich diesen Platz wieder verlassen konnte und wann nicht.
Als er sich räusperte, löste er sich gleichzeitig von der Tür und ging an mir vorbei.
Ich folgte ihm.
Wir durchquerten einen Raum, in dem nur ein Licht brannte. Es war der Strahler, den ich von außen gesehen hatte. Wie eine helle Duschtasse klebte er unter der Decke und verteilte die dünnen Lichtstreifen in verschiedene Richtungen.
Er war genau ausgerichtet. Jeder Strahl erwischte einen bestimmten Gegenstand. Sie paßten natürlich zu einem derartigen Laden. Särge sah ich zwar nicht, aber Leichenhemden hingen an den Wänden. In dunklen Regalen standen Urnen, und ich sah auch Bilder, die gut geschminkte und perfekt zurechtgemachte Leichen in verschiedenen Ausführungen zeigten.
Mehr war nicht zu entdecken. Es wies auch nichts auf den eigentlichen Job des Mannes hin, also auf bestimmte Grabstätten an außergewöhnlichen Orten.
Natürlich war der Teppichboden dunkel. Ich hatte den Eindruck, über festgetretene, graue Asche zu schreiten, und deren Grau setzte sich an den Wänden fort.
In diesem Raum konnte man sich alles andere als wohl fühlen. Obwohl eine Heizung Wärme verbreitete, fröstelte ich, und das mußte einzig und allein an der Atmosphäre liegen.
Der Kantige schaute sich nicht ein einziges Mal um. Er öffnete mir eine Tür, blieb aber neben ihr stehen und nickte mir zu. »Mr. Sellnick erwartet Sie.«
»Danke.«
Ich schritt über die Schwelle. Viel veränderte sich nicht. Das Licht war besser eingestellt, und es stammte auch nicht von einem Strahler, diesmal sorgten mehrere Lampen für Helligkeit. Mir fiel sofort der schwarze Schreibtisch auf, der auf silbrig glänzenden Füßen stand. An einer Seite des Schreibtisches gruppierten sich moderne Kommunikationsmittel. Eine Telefonanlage, ein Faxgerät, auch ein Monitor mit Bildschirm. Der schwarze Lederstuhl vor dem Schreibtisch war nicht besetzt.
Dieser fensterlose Raum machte auf mich den Eindruck eines postmodernen Grabs, und die Kälte in meinem Innern nahm zu. Sie glitt wie Eiskrümel durch meine Blutbahnen, als wollte sie mein Gehirn einfrieren.
Ich war nicht allein, der Chef dieser ungewöhnlichen Firma befand sich im Raum, aber er war nur schwer zu erkennen, da er sich nahe seiner schwarzen, mit Büchern gefüllten Regale aufhielt, die von keinem Lichtstreifen erwischt wurden.
Ich sah ihn erst, als ich vor seinem Schreibtisch und neben dem ebenfalls dunklen Besucherstuhl stehenblieb, da nämlich bewegte er sich und drehte mir nicht mehr den Rücken zu.
Mit bedächtigen Schritten löste er sich von seinem Platz am Regal und kam auf mich zu. Sein Kommen glich dem Auftritt eines Schauspielers auf einer leeren Bühne. Er wußte genau, was er wert war, und als er in das Licht trat, bekam ich genügend Zeit, ihn mir anzuschauen. Nein, einen Vergleich zu seinem Mitarbeiter hielt er nicht stand, obwohl beide die gleiche Kälte abstrahlten, was auch das Lächeln auf Sellnicks fleischigem Gesicht nicht verändern konnte.
Sein Haar war schwarz und glatt nach hinten gekämmt. Hinzu kam der Mittelscheitel, der es in zwei Hälften trennte, aber beide Hälften fanden sich im Nacken wieder zusammen, wo sie dann einen kurzen Zopf bildeten.
Es fiel mir nicht schwer, sein Gesicht zu beschreiben. Sollte ich es mit einem Ei vergleichen?
Irgendwo lag ich da richtig, denn seine Wangen wirkten leicht aufgeblasen. Hinzu kam der kleine Mund mit den feucht schimmernden Lippen, den Augenbrauen, die dicht oberhalb der Nasenwurzel zusammenwuchsen, und die Nase selbst, die mich an einen in die Länge gezogenen Tropfen erinnerte. Seine Augen waren klein, das verteilte sich auch auf die Pupillen, die dunkel schimmerten, als hätte er erst vor wenigen Sekunden Tropfen hineinfallen lassen.
Sein Mitarbeiter gehörte zu den harten Typen, dieser Henry O. Sellnick machte auf mich den Eindruck eines weichen Mannes, irgendwie fleischig und schleimig zugleich, so daß mir der Vergleich mit einem Ghoul in den Sinn kam.
Automatisch konzentrierte ich mich auf den Geruch. Ich wußte, daß Ghouls, auch wenn sie die Gestalt gewechselt hatten und menschlich geworden waren, einen bestimmten Geruch nicht verleugnen konnten. Sie stanken immer wieder ein wenig nach Moder, doch hier roch meine empfindliche Nase nichts in
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