0876 - Der Dämon von Nigeria
keinen ständig stationierten Arzt. Der Botschaftsarzt reist in der Region herum und ist in jedem Haus für drei, vier Tage, ehe er weiterzieht. Ich glaube, er ist gerade in Ghana. Missis Stevens hier betreut unsere Botschaft nur, weil wir im westlichen Afrika die größte haben.«
Die Krankenschwester neigte bei der Nennung ihres Namens kurz den Kopf.
»Hier, Professor, sehen Sie selbst!«
Hinter einem Vorhang lag eine reglose Gestalt auf einem Bett. Zamorra zog das Leichentuch fort. Er wunderte sich, dass der Mann nicht in einem Kühlhaus lag. Er war doch bereits vor Tagen verstorben, der Verwesungsprozess musste längst eingetreten sein.
War er nicht.
Das wächserne, starre Gesicht war ohne Zweifel das von Malborough. Das Foreign Office hatte Zamorra ein Foto mitgeschickt. Er war tot, auch daran bestand kein Zweifel.
»Er verwest nicht«, teilte Wilkins mit. Jetzt war erstmals so etwas wie Hilflosigkeit in seiner Stimme hörbar. »Wir haben ihn jetzt seit fast einer Woche hier, aber es gibt keinerlei Anzeichen eines Verfalls.«
Zamorra beugte sich über die Leiche und berührte ihre Stirn. Kalt.
»Was ist die Todesursache?«, fragte er.
»Offiziell Herzversagen. Aber… sehen Sie hier!«
Wilkins zog das Leichentuch weiter hinab und entblößte die nackte Brust des Toten. Direkt über der Herzgegend war ein seltsames Symbol auf die Haut tätowiert.
Zamorra runzelte die Stirn. Es kam ihm entfernt bekannt vor, doch er konnte es nicht sofort einordnen.
»Der nigerianische Arzt, der ihn kurz vor seinem Tode noch zu retten versucht hat, erklärte mir, dass dies der erste weiße Mann sei, der von Shangos Mal berührt worden sei. Er riet mir, mich an einen Ju-Ju- Mann zu wenden, was natürlich absurd ist.«
Zamorra entgegnete nichts. Er hatte seine Erfahrungen mit Ju-Ju gemacht, mit dem afrikanischen, vor allem aber dem haitianischen Voodoo. Allerdings wusste er, dass es da erhebliche Unterschiede gab. Wilkins' Skeptizismus ließ ihn allerdings kalt.
»Nun, eine Tätowierung«, meinte Zamorra gedehnt. »Das ist es aber wohl nicht, was Sie mir eigentlich zeigen wollen, oder?«
Wilkins warf Zamorra einen anerkennenden Blick zu.
»Gut erkannt, Professor. Werfen Sie einen Blick hier drauf!«
Er reichte dem Dämonenjäger eine Röntgenaufnahme. Zamorra musterte sie kurz und erkannte sofort, worauf der Botschafter hinauswollte.
»Dem Brustkorb auf dieser Aufnähme fehlt das Herz!«
Wilkins nickte. »Es ist der Brustkorb Malboroughs. Herzversagen trifft es offenbar nicht ganz, wenn gar kein Herz da ist. Und es gibt keinerlei Zeichen eines äußerlichen Eingriffes. Die Haut über seiner Brust ist absolut unberührt und narbenfrei.«
Zamorra schloss einen Augenblick die Augen. Wilkins wollte noch etwas sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Er ahnte nicht, dass der Professor sich auf sein unter dem Hemd verborgenes Amulett, Merlins Stern , konzentrierte. Zamorra fühlte so etwas wie eine magische Restenergie von dem Symbol auf Malboroughs Brust ausgehen, aber nichts, was noch aktiv oder gar bedrohlich wirkte.
Dennoch, es war richtig, hierhergekommen zu sein.
Er öffnete die Augen wieder.
»Bringen Sie mich zu Malboroughs Haus!«, forderte er bestimmt.
Wilkins hatte keine Einwände.
***
Awale richtete sich in seinem Sattel auf, beschattete seine Stirn und starrte den staubigen Pfad hinunter. Oleuwo, sein Stellvertreter, zügelte sein Reittier direkt neben ihm. Die Kolonne von 20 Reitern kam pflichtschuldig zum Stillstand.
»Sind sie das?«, fragte der Eso seinen Gefährten und versuchte, in der Entfernung Genaueres auszumachen.
»Ich kann es von hier nicht erkennen, der Staub ist zu hoch. Aber die Tatsache allein, dass es staubt, zeugt zumindest davon, dass sie hier entlanggekommen sind.«
Awale schnalzte mit der Zunge. Er war ein Eso, ein Mitglied des professionellen Offizierskorps, das den Kern der stehenden Armee des Imperiums ausmachte. 16 hohe Dienstgrade und 55 niedrige gab es unter den Eso, und Awale war einer der 55, noch jung und bestrebt, sich in den Augen des Alafin zu bewähren. Bewährung bedeutete, bei einem Kriegszug mit einem größeren Dorf oder einer Stadt belehnt und den Titel eines Oba tragen zu dürfen, Herrscher im Namen und für den Alafin, aufgrund der großen Entfernungen im Reich, jedoch de facto weitgehend autonomer König seines Gebietes. Awale kam aus königlicher Familie. Sein Onkel war der Okere von Saki, und damit Gebieter über ein Ekun, eine der königlichen
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