0885 - Die Kralle des Jaguars
shirt off!« Zamorra seufzte. Das schien noch ein regelrechter Spießrutenlauf zu werden, bis sie Elians Jeep erreicht hatten.
Plötzlich drang eine vertraute Stimme an sein Ohr: »Professor, kommen Sie hier entlang!« Als er sich zur Seite wandte, sah er in das überraschte Gesicht von Dr. Denny W. Shore.
Mit einem Satz war der Amerikaner bei ihnen, schob die Schaulustigen zur Seite und bahnte den dreien einen Weg zur Freitreppe. Während sie abstiegen, half er dabei, Nicole zu stützen. Mehr noch, er zog sogar sein Tweedjackett aus und reichte es der Französin. Zamorra wunderte sich zwar, warum Shore bei diesen Temperaturen nicht auf ein Jackett verzichtete, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Eine Frage jedoch ließ sich nicht aufschieben: »Denny, was zum Teufel machen Sie denn hier?«
Der eigentümliche Para-Forscher lächelte. »Na, das habe ich Ihnen doch in Mexico City schon erzählt: Ich forsche.« Als er Zamorras fragenden Gesichtsausdruck sah, fuhr er fort. »Laut Maya-Kalender endet am 22. Dezember 2012 ein Zyklus, ein Zeitalter. Ein kompletter Neuanfang beginnt, längst nicht nur in astronomischer Hinsicht. Und wo könnte man diesem Ereignis besser auf die Spur kommen, als in Copán Ruinas, der bedeutendsten Maya-Stätte in ganz Honduras?«
Zamorra nickte, während sein Kopf versuchte, den Sätzen des Amerikaners zu folgen. Irgendwie war es mit der geistigen Kondition des Franzosen nicht mehr gut bestellt. Er brauchte eine Pause. Und ein langes, kühles Bad.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Dr. Shore, während sie weiter die Treppen hinabstiegen und sich dem Ausgang des Geländes näherten. »Wer glaubt heute noch an alte Maya-Geheimnisse? Aber ich sage Ihnen, Zamorra: Die sind längst nicht so überholt, wie Sie vielleicht denken.«
Der Professor schenkte Shore ein Lächeln. »Keine Sorge, Herr Kollege. Da bin ich ganz Ihrer Meinung.«
***
Dann waren sie am Auto. Zu dritt betteten sie Nicole auf den Rücksitz des Jeeps, dann griff Elian ins Handschuhfach, entnahm ihm ein Mobiltelefon und entfernte sich einige Schritte, um in Mexiko anzurufen. Zamorra und Shore blieben zurück und warteten.
»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Shore«, sagte Zamorra aufrichtig. »Ich war nicht nett zu Ihnen, als Sie während der Tagung auf mich zukamen.« Shore winkte ab. »Aber nicht doch«, sagte er lachend. »Wenn Sie wüssten, auf welche Reaktionen ich mit meinen Theorien schon gestoßen bin - im Vergleich dazu waren Sie die Verkörperung von Ritterlichkeit und Anstand.« Es lag keine Spur von Ironie in Shores Stimme, nichts als Aufrichtigkeit und Offenheit.
Zamorra atmete hörbar aus. »Nett, dass Sie es so sehen, aber… Die letzten Tage haben mir zwei Dinge wieder einmal deutlich vor Augen geführt: Dass jede Spur zum Ziel führen kann, und dass im vermeintlichen Schnee von gestern noch viel aktueller Bezug liegen mag. Ich würde mich ehrlich freuen, wenn wir unsere Unterhaltung über den Maya-Kalender bald einmal fortsetzen könnten.«
»Jederzeit, Professor.«
Eine Autotür schlug zu, dann stand Rodrigo neben ihnen. Der Maya-Priester strahlte über das ganze Gesicht und nickte Zamorra zu. »Sie da«, sagte er in gespielter Schwere. »Sie sollen sofort nach Mexico City kommen. Sie werden erwartet.« Zamorra schüttelte verständnislos den Kopf.
»Javier ist wieder aufgewacht!« sagte Elian. »Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Und wissen Sie, was er gesagt hat? ›Schaff mir diesen Franzosen her, und sage ihm, ich habe den Eingang ins Innere der Pyramide gefunden !«‹
Zamorra grinste. »Na, dann sollten wir unseren Gastgeber nicht länger warten lassen.« Er gab Denny Shore die Hand zum Abschied und stieg auf den Beifahrersitz des Jeeps. »Rufen Sie mich bald an, Doktor! Ich warte auf unser Gespräch.«
»Keine Sorge«, rief Shore und winkte ihnen zu, als sie mit knirschenden Reifen vom Parkplatz der Ruinenanlage fuhren. »Bis 2012 ist es ja noch ein Weilchen!«
ENDE
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