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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Sie hassten ihn!
    Ihre Blicke waren eindeutig, ihr Verhalten über jeden Zweifel erhaben. Sie waren wie eine Horde hungriger Raubtiere, die darauf wartete, dass er den letzten, den fatalen Fehler beging. Und Dr. Denny W. Shore fühlte sich, als wäre dies längst geschehen.
    Plötzlich konnte er sein Publikum lachen hören, ganz leise. Er fühlte ihre hämischen, anklagenden Blicke in seinem Rücken wie Dolche, die tief in einen mentalen Schutzpanzer eindrangen, den sein angeknackstes Selbstbewusstsein ohnehin nur noch mit äußerster Anstrengung aufrechterhalten konnte. Wenn Spott hätte töten können, wäre Denny längst verblutet, gleich hier auf dem fleckigen PVC-Boden des Hörsaals.
    Mexiko sehen und sterben, ging es ihm durch den Kopf, und die Irrationalität dieses Gedankens, die Absurdität der gesamten Situation ließ ihn leise auflachen. Nein, diese Tagung, das »1. Mexikanische Para-Kolloquium«, und auch seinen Vortrag über den Mayakalender hatte er sich definitiv anders vorgestellt.
    Es war ja wohl nicht seine Schuld, dass die Haustechnik nicht in der Lage gewesen war, seinen Laptop an den hiesigen Videobeamer anzuschließen! Was konnte Denny dafür, dass sich seine mühsam vorbereitete Powerpoint-Präsentation nicht abspielen ließ?
    Doch Shore war jetzt lange genug Dozent, um zu wissen, dass man ein kritisches Publikum vom ersten Moment an packen und mitreißen muss, um es nicht zu verlieren. Es gab nun einmal keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Und den hatte Denny gründlich vergeigt.
    »Dark Future - Der Maya-Kalender als Indikator bevorstehenden Wandels«, so hatte es im Programm gestanden. Wie erwartet hatte der reißerische Titel von Dennys Vortrag schon im Vorfeld für Kontroversen unter den Tagungsteilnehmern gesorgt. Von Effekthascherei war die Rede gewesen, von Pseudo-Wissenschaft und unseriösem Aberglauben. Kein Wunder also, dass Raum 605 der Universidad Nacional Autonoma de Mexico bereits aus allen Nähten platzte, als Denny ihn betreten hatte. Auch ein akademisches Publikum genoss es hin und wieder, sich über Kollegen lustig machen zu können.
    Es hatte Denny nicht gestört. Er wusste von der Kraft seiner Argumente und war von der Logik und inneren Stringenz seines Vortrags überzeugt. Er ließ all den Spott gelassen an sich abperlen. Immerhin hatte er ja auch Recht: Im Jahr 2012 näherte sich der Kalender der Mayas einem Wendepunkt, und wenn man sich die astronomischen Fertigkeiten und Kenntnisse dieser alten Kultur einmal genauer vor Augen führte, war es schlicht unverantwortlich, dem von den Mayas prophezeihten Wandel keinen Glauben zu schenken. Und außerdem: Seit über drei Jahrzehnten forschte der amerikanische Wissenschaftler nun schon im Bereich des Paranormalen und war längst daran gewöhnt, nicht ganz ernst genommen zu werden. Denny war sich seiner Sache stets sicher gewesen. Er wusste, was er wusste.
    Doch dieses Mal schien es, als würde er nicht nur vom Auditorium, sondern vom Gebäude selbst nicht akzeptiert. Zuerst der Beamer, und jetzt das.
    Denny seufzte leise, drehte sich um und räusperte sich. »Weiß zufällig einer von Ihnen, ob der Techniker noch in der Nähe ist? Wie es scheint, hat dieser Overhead-Projektor soeben das Zeitliche gesegnet.«
    In ihren Gesichtern konnte er sehen, wie sehr sie sich bemühten, nicht zu lachen - und den Kampf verloren. Schallendes Gelächter brandete auf, schlug ihm entgegen und nahm den letzten Rest des Respekts, den Denny hier vielleicht einmal gehabt hatte, mit sich. Jetzt war es offiziell: Dr. Denny W. Shore, ehemals Dozent der University of Chicago und Autor von fünf Büchern über die Macht versunkener Kulturen und deren mythisches Erbe, war der Freak dieser Veranstaltung. Der Klassenclown. Das peinliche Maskottchen.
    »Darf ich das also als ›Nein‹ interpretieren?«, murmelte er resignierend. Es war absurd, aber mit einem Mal fühlte sich Denny wieder wie ein kleiner Junge, der etwas falsch gemacht hatte. Von dieser Meute konnte er keine Unterstützung mehr erwarten, das war ihm klar. Aber er brauchte diesen Projektor, und vielleicht fand er den Techniker auch ohne fremde Hilfe. Der war ein stämmiger Mann gewesen, in verschwitztem Hemd und mit einem beeindruckenden Schnurrbart. So jemand fiel auf. Denny blickte über die Köpfe der Tagungsteilnehmer und Studenten hinweg zum hinteren Ende des Hörsaals, wo sich noch weitere Zuhörer - noch mehr Gaffer, die sich über mich lustig machen wollen!, dachte er

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