0898 - Praxis des Teufels
»Ich habe ihn im Grunde auch nur deshalb gerufen, damit er schwächer würde. Ich weiß aber nicht, ob das noch einmal funktioniert.«
»Ich würde gerne wissen, warum er seine magische Kraft zu verlieren scheint«, meinte Zamorra. »Steckst du dahinter?«
Fu Long erhob sich wieder und lächelte geheimnisvoll. »Die Antwort auf diese Frage, mein Freund und bevorzugter Gegner, hast du mir bereits selbst gegeben.« Seine schwarzen Augen funkelten amüsiert. Er schien einen Teil seiner Kraft wiedergewonnen zu haben. »Und jetzt überlasse ich dich wieder deinen Geschäften.« Damit wandte er sich um und wollte ans Fenster gehen. Die Sonne war bereits untergegangen.
»Ein klassischer Abgang für einen Vampir«, ließ sich Nicoles Stimme nach einem kleinen Räuspern vernehmen. Ihre Stimme klang sarkastisch. »Auf das Fensterbrett setzen und als Fledermaus die Biege machen.«
Fu Long lachte auf. »Mademoiselle Nicole, auch wenn es nicht immer so aussieht, weiß ich Ihren Humor doch sehr zu schätzen. Sie können jeder Situation die Spitze nehmen, eine seltene Gabe, wenn ich das bemerken darf. - Ach Zamorra, bevor ich das vergesse, noch zwei Dinge.« Er kam wieder ins Zimmer zurück und stellte sich vor Zamorra auf. Auch wenn er dem großen Franzosen nur bis zur Schulter reichte, hatte Nicole, die etwa zwei Meter entfernt stand, nicht den Eindruck, dass Fu Long unterlegen sei. Die Ausstrahlung des chinesischen Vampirs war so stark, dass Nicole sogar unwillkürlich ein wenig zurückwich.
Doch Zamorra blieb stehen und sah auf Fu Long herab.
»Das eine ist, diese Magie, mit der ich Lucifuge Rofocale gebunden habe, kann auch weißmagische Wesen binden.«
»Willst du mir drohen?« Zamorra war unangenehm überrascht. Das hatte er nicht erwartet. Das Amulett, das bisher wenig Reaktion auf Fu Long gezeigt hatte - das Amulettbewusstsein, Taran, hatte ihn offenbar nicht als explizite Drohung eingestuft - wurde in genau dem Moment schlagartig warm, fast heiß. Wieder kamen dem Meister des Übersinnlichen die Bedenken zum Bewusstsein, die Asmodis vor einigen Monaten ihm gegenüber geäußert hatte: Zamorra, da ist etwas im Gange. Und mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass Fu Long dabei Zugang zur Bibliothek eines der mächtigsten Dämonen des Universums hat. Damals hatte Zamorra das noch auf einen möglichen Kampf in den Schwefelklüften bezogen - ein Kampf, der ihn nichts anging und aus dem er sich sehr bequem heraushalten konnte. Doch jetzt war er auf einmal sicher, dass Asmodis auch ihn vor Fu Long hatte warnen wollen. Ich sollte wirklich alles vermeiden, was ihn mir zum Feind machen könnte.
Aber Zamorra gefiel der Gedanke nicht, dass Fu Long sein Feind und Gegner werden konnte. Es kam selten genug vor, aber auch wenn der Vampir ein schwarzmagisches Wesen war - Zamorra dachte nur mit größtem Respekt und ja - beinahe Freundschaft an ihn.
Der Vampir schien Zamorras Gedanken zu erraten und schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts dergleichen vor. Doch ich fand, du solltest es wissen. Das zweite ist, ich habe mir im Tempel des Huang Daxian die Zukunft vorhersagen lassen. Wir beide werden schon bald auf derselben Seite kämpfen. Es konnte allerdings nicht festgestellt werden, unter welchen Umständen, nur, dass du es freiwillig tun wirst.« Er wurde ernst. Seine Stimme klang kälter als zuvor, als er fortfuhr: »Wenn du mich fragst, sind das mit der Tatsache, dass ich dein Leben mehrfach gerettet habe, schon drei gute Gründe, warum du beim nächsten Mal meine Bitte um Beistand nicht noch einmal ablehnen solltest.«
Damit machte er eine vornehme kleine Verbeugung vor Zamorra, neigte Nicole den Kopf zu und ging aus dem Zimmer.
Nicole sprang geistesgegenwärtig auf und war mit zwei schnellen Sätzen an der Tür zum Gang.
Doch sie sah nur über einen leeren Flur.
Sie stieß den Atem aus. »Wie macht er das nur immer wieder…«
***
Das Tal der Loire war von Château Montagne aus an diesem Herbsttag ein ganz besonders schöner Anblick. Von der Sonne goldgelb beleuchtet, wand sich der Fluß an dem kleinen Örtchen Feurs vorbei. Zamorra saß in einem dicken Wollpulli auf der Terrasse und genoss zusammen mit Nicole einen der letzten schönen Herbsttage und ein Glas Wein.
»Es ist wirklich seltsam, dass Dr. Morcomb nie wieder aufgetaucht ist«, meinte der Professor schließlich in die abendliche Stille hinein.
»Ja«, meinte Nicole und kuschelte sich etwas tiefer in die weiche Decke, die sie um sich geschlungen hatte.
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